Kommentar: Demographie und Einwanderung
Die demographischen Effekte sind in Ostdeutschland viel drastischer als in Westdeutschland und viel gravierender auf dem Land als in der Stadt. Die Bevölkerung in Ostdeutschland schrumpft schneller als im Westen, und sie wird immer älter. Manchen Regionen droht die Entvölkerung. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamts ist im Jahr 2030 jeder dritte Ostdeutsche 65 Jahre und älter. Der Umgang mit diesem Problem, gerade im Osten, wird in meinen Augen die größte Herausforderung der nächsten Jahrzehnte sein.
11. September 2015
Dabei ist das Problem nicht der Bevölkerungsschwund per se (rund 2,5 Millionen Menschen haben Ostdeutschland seit 1990 netto verlassen), sondern die Alterszusammensetzung derer, die geblieben sind: Es sind disproportional gut ausgebildete, jüngere Menschen abgewandert, zudem noch überproportional Frauen. Die Wirtschaft leidet schon jetzt unter einem Mangel an gut ausgebildeten Nachwuchskräften. Unternehmensnachfolger fehlen.
Aus diesen Fakten ergeben sich mindestens drei wichtige Schlussfolgerungen: Erstens muss die Politik irgendwann den Mut haben zu sagen, dass die Infrastruktur in dünn besiedelten Gebieten nicht dauerhaft auf dem bisherigen Niveau gehalten werden kann. Die Kosten pro Kopf sind zu hoch und lenken wertvolle Ressourcen von dort weg, wo sie sinnvoller eingesetzt werden könnten. Ein solches Eingeständnis fällt schwer, weil Deutschland bisher den Anspruch auf überall gleiche Lebensbedingungen hatte.
Zweitens muss es eine aktive und kontrollierte Einwanderungspolitik geben. Es geht primär darum, für junge, gut ausgebildete Familien, für so genannte High Potentials, attraktiver zu werden. Zurzeit wandern diese Menschen in die USA, nach Kanada oder nach Australien ein. Um diese Menschen nach Deutschland umzulenken, muss eine Kultur geschaffen werden, die der Zuwanderung zuträglich ist. Pegida sendet das falsche Signal ins Ausland und schreckt damit genau die Menschen ab, die Deutschland braucht. Es verlangt großen Mut und große Weitsicht, Politik für eine Gruppe zu machen, die noch gar nicht da ist und daher auch keine Stimme bei Wahlen hat.
Drittens muss die Asylproblematik vollständig von der Einwanderungspolitik getrennt werden. Asylsuchende und Einwanderer in einen Topf zu werfen, behindert die Debatte um Einwanderung in Deutschland entscheidend. Bei Asylsuchenden geht es um den berechtigten Schutz vor Verfolgung in ihren Heimatländern, bei den Einwanderern um Menschen, die sich hier dauerhaft eine Zukunft aufbauen könnten, weil sie auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Die einen bestimmen sich über die politische Situation ihres Heimatlandes, um die anderen muss man werben und sie nach Qualifikation, Alter, Vermögen und anderen wünschenswerten Eigenschaften auswählen. Ein Zuwanderungsgesetz kann möglicherweise helfen, den rechtlichen Rahmen für Asylsuchende klar vom rechtlichen Rahmen für Einwanderer zu trennen.
Der starke Bevölkerungsrückgang im Osten ist jedoch nicht nur ein Fluch, er birgt auch Chancen. Für qualifizierte Arbeitnehmer werden die Löhne mit einiger Wahrscheinlichkeit steigen, und die Arbeitslosigkeit wird tendenziell sinken, gerade dann, wenn es gelingt, die Menschen besser zu qualifizieren. Der Osten ist dem Westen in der demographischen Entwicklung etwa zehn Jahre voraus. Die Probleme sind anders als in Berlin, München oder Frankfurt, und sie werden schon jetzt offensichtlich. Ich hoffe und wünsche mir, dass die Neuen Bundesländer zu Vorreitern beim Entwickeln und Umsetzen von Lösungen für das Demographieproblem werden.