Kommentar: Betriebsgrößenstruktur und Arbeitsmarktergebnisse
Trotz aller Fortschritte bei der wirtschaftlichen Angleichung Ost- und Westdeutschlands seit der Vereinigung wird in der öffentlichen Debatte häufig auf fortbestehende Unterschiede bei Löhnen und Arbeitsproduktivität verwiesen. Als Erklärung hierfür wird der vergleichsweise geringe Anteil großer und damit in der Regel auch produktiverer und besser zahlender Betriebe in Ostdeutschland angeführt. Die Größe eines Betriebes ist jedoch – von möglichen Skalenerträgen einmal abgesehen – für sich genommen kein Bestimmungsfaktor für ökonomische Prosperität. Für das Verständnis der Folgen einer kleinteilig organisierten Wirtschaft muss geklärt werden, über welche Mechanismen die Betriebsgrößenstruktur auf Löhne und Arbeitsproduktivität wirkt.
14. November 2014
Ein wichtiger Einflussfaktor ist betriebsspezifisches Humankapital, von dessen Höhe Löhne und Produktivität abhängen. Es zeichnet sich im Gegensatz zu allgemeinem Humankapital durch die alleinige Verwertbarkeit im konkreten Betrieb aus. Erlischt die Arbeitnehmer-Betrieb-Kombination, erlischt auch das betriebsspezifische Humankapital. Ob Arbeitnehmer und Betriebe bereit sind, in dieses betriebsspezifische Kapital zu investieren, hängt daher stark von der erwarteten Dauer der Zusammenarbeit, d. h. der Amortisationsphase der Investition ab. Genau an dieser Stelle könnte die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft von Nachteil sein. Kleine Betriebe können qualifizierten Beschäftigten in der Regel weniger interne Aufstiegsmöglichkeiten bieten als Großunternehmen. Zudem sind kleine Betriebe oft auch jünger und haben ein um ein Vielfaches höheres Risiko von Betriebsschließungen und Insolvenzen als große und etablierte Betriebe. Beides lässt erwarten, dass sowohl der Betrieb als auch die Beschäftigten von einer „Ehe auf Zeit“ ausgehen und spezifische Investitionen vermeiden. Weitere wichtige Fragen schließen sich an. Wenn es zur Betriebsschließung kommt, welche kurz- und langfristigen Folgen hat dies für die Karrierepfade der Betroffenen? Führt sie beispielsweise zu häufigerer und längerer Arbeitslosigkeit, zu Humankapitalabschreibungen und langfristigen Lohnverlusten und zu einer höheren Übergangsrate in atypische bzw. prekäre Beschäftigung?
Andererseits: Birgt eine hohe Zahl kleiner und junger Betriebe nicht auch Chancen? Oft wird davon ausgegangen, dass Neuerungen und technischer Fortschritt durch neue Betriebe transportiert werden und dass diese Betriebe der flexible Motor wirtschaftlicher Dynamik sind. Für den ostdeutschen Arbeitsmarkt ist daher von besonderem Interesse, ob durch Neugründungen zusätzliche Beschäftigung geschaffen wird, und vor allem, welche Art von Beschäftigung.
Die hier skizzierten Fragen sind für Ostdeutschland teils nur spärlich, teils noch gar nicht untersucht worden. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung werden sie künftig Bestandteil der IWH-Forschungsagenda sein.