Langzeitleistungsbezug und Langzeitarbeitslosigkeit – Bericht zum 11. IWH/IAB-Workshop zur Arbeitsmarktpolitik –
Im Rahmen des IWH/IAB-Workshops zur Arbeitsmarktpolitik am 1. und 2. Oktober 2014 in Halle (Saale) trafen sich zum elften Mal Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Wirtschaft, um sich aus ökonomischer und soziologischer Sicht über neue Entwicklungen und Erkenntnisse zu den Themen langfristiger Sozialleistungsbezug und Langzeitarbeitslosigkeit auszutauschen. Der Fokus der Workshops, die als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis konzipiert sind, lag dabei auf den Ursachen und Konsequenzen der Langzeitarbeitslosigkeit sowie auf möglichen Lösungsansätzen.
14. November 2014
Dr. Gerhard Heimpold (IWH) eröffnete die Veranstaltung und begrüßte die Teilnehmer im Namen des IWH. Dr. Ulrich Walwei (IAB) zeichnete in seiner Einführung den thematischen Rahmen für die sich anschließenden Fachvorträge vor.
Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit für die Betroffenen
Die Keynote „Der lange Ungleichheitsschatten von Arbeitslosigkeit“ hielt Markus Gangl, Professor für Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er verglich die Arbeitsmarkterfahrung und die Arbeitsmarktlage in der Bundesrepublik Deutschland mit derjenigen in anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Spanien und zeigte, dass die Arbeitslosigkeit in ganz Europa die wesentliche Ursache der Einkommensungleichheit ist. Auch die Folgen des Arbeitsplatzverlustes auf die weitere Erwerbsbiographie sind in den beobachteten Ländern ähnlich: Der Verlust des Jobs hat persistent negative Auswirkungen auf die Beschäftigungschancen. Häufige Phasen von Arbeitslosigkeit im Lebenslauf wirken besonders ungünstig.
Zum Abschluss der nachfolgenden Diskussion fasste Gangl sein Referat in einer Empfehlung an die Politik zusammen: Arbeitslosigkeit, insbesondere länger anhaltende, solle angesichts ihrer weitreichenden ungünstigen Folgewirkungen für die Betroffenen und die Gesellschaft möglichst vermieden werden. Dies zu unterstützen ist auch Aufgabe der Gesellschaft.
Verläufe, Folgen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit
In den nachfolgenden elf Präsentationen wurden die Themen Langzeitleistungsbezug und Langzeitarbeitslosigkeit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und intensiv diskutiert. Zunächst analysierten die Referenten die Verlaufsmuster und die Folgen von langandauernder Arbeitslosigkeit. So wurde beispielsweise der Frage nachgegangen, ob eine Zeit der Arbeitslosigkeit in der Frühphase des Erwerbslebens kausal im Zusammenhang mit künftigen Arbeitslosigkeitserfahrungen steht.
Als Begleiterscheinung der Arbeitslosigkeit wurde unter anderem das Phänomen der Deprivation, d. h. von Verschlechterungen im Lebensstandard thematisiert. Es wurde deutlich, dass der Eintritt in den ALG-II-Leistungsbezug nicht nur negative Effekte auf das Einkommen der Betroffenen hat, sondern dass ihr Lebensstandard auch nach einer erneuten Arbeitsaufnahme erst zeitversetzt wieder ansteigt.
Bei den Anstrengungen, langfristige Arbeitslosigkeit zu verhindern, spielen sowohl die öffentliche als auch die private Arbeitsvermittlung eine wichtige Rolle. Die Beiträge des Workshops zeigten, dass die Dezentralisierung dieser Einrichtungen im Zuge der Hartz-Reformen widersprüchliche Effekte auf die Vermittlungsquote vor allem von Langzeitarbeitslosen mit sich brachte.
In Modell- und Pilotprojekten werden neue Ideen erprobt und Erfahrungen zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen gesammelt. Im Rahmen des Workshops stellte beispielsweise das Zentrum für Sozialforschung Halle Ergebnisse seiner Begleitforschung zum Projekt „ZIEL – Zielgerichtete Integration junger Langzeitarbeitsloser“ vor.
Zu einer lebendigen Diskussion kam es beim Thema der sozialen Teilhabe von Langzeitarbeitslosen. Insbesondere ging es dabei um Personen mit so genannten multiplen Vermittlungshemmnissen, die zwar zahlreiche Maßnahmen zur Arbeitsbefähigung und -vermittlung durchlaufen, aber dennoch keine Beschäftigung finden. Sollte hier weiterhin das Ziel der Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt verfolgt werden? Oder wäre es angemessener, das Grundsicherungssystem in Richtung der Problemlagen dieser Personengruppe weiterzuentwickeln?
Podiumsdiskussion
An der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen Dr. Wilhelm Adamy vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Dr. Holle Grünert vom Zentrum für Sozialforschung Halle e. V., Kay Senius als Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit, Dr. Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sowie Alexander Wilhelm von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände teil. Die Moderation übernahm Ralf Geißler, Wirtschaftsredakteur beim MDR-Hörfunk.
In der Diskussion wurde deutlich, dass es für das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit keine einfache Lösung gibt. Auch knapp zehn Jahre nach den Hartz-Reformen sind die Chancen auf eine Beschäftigung für Langzeitarbeitslose nicht gestiegen – und dies, obwohl ein breites Instrumentarium staatlicher Fördermaßnahmen für die Betroffenen bereitsteht. Die Frage ist jedoch, ob diese Regelungen immer richtig eingesetzt werden. Als unabdingbar wurde die Betrachtung des Einzelfalls angesehen, um auch individuellen Problemstellungen gerecht werden zu können.
Diskutiert wurde ebenso die Frage, ob neben dem regulären ein zweiter, „sozialer“ Arbeitsmarkt etabliert werden sollte. Dieser müsse, so die Befürworter, für Langzeitarbeitslose offen sein, mittelfristige Perspektiven bieten und eine Sozialversicherungspflicht vorsehen.
Fazit: Langzeitarbeitslosigkeit bleibt der Politik als Dauerthema erhalten
Langzeitleistungsbezug und Langzeitarbeitslosigkeit werden aufgrund der starken Verfestigungstendenzen und den damit verbundenen sozialen und gesellschaftlichen Problemen auch in Zukunft einen festen Platz in der deutschen Arbeitsmarktpolitik einnehmen.
Auch die Referenten des 11. IWH/IAB-Workshops konnten keine Patentlösungen bieten. Die Erfahrungen mit den umfangreichen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aus der Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass zielführend an der Problematik gearbeitet werden kann. Neue Impulse aus Modellprojekten, die Würdigung der komplexen Lebenslagen der Betroffenen und geduldige Politik werden auch künftig nötig sein, um dem Ziel einer nachhaltigen Reduzierung der Zahl erwerbsfähiger Leistungsberechtigter näherzukommen.