Gemeinschaftsdiagnose im Herbst 2014: Deutsche Wirtschaft stagniert – Jetzt Wachstumskräfte stärken (Kurzfassung)
Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr um 1,3% und im kommenden Jahr um 1,2% expandieren. Das prognostizieren die an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten. Demzufolge hat sich die Konjunktur in Deutschland merklich abgekühlt. Nachdem die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal gesunken war und im dritten Vierteljahr wohl stagniert hat, kommt der Konjunkturmotor nur schwerlich wieder auf Touren. Schwach ist sowohl die Binnennachfrage – das Konsumklima hat sich zuletzt verschlechtert und die Unternehmen halten sich mit Investitionen weiterhin zurück – als auch die Auslandsnachfrage. Belastend wirken das mäßige Expansionstempo der Weltwirtschaft, die auch im Prognosezeitraum niedrige Dynamik im Euroraum und der Gegenwind von der Wirtschaftspolitik. In diesem Umfeld sprechen sich die Wirtschaftsforschungsinstitute für eine Stärkung der Wachstumskräfte und günstigere Rahmenbedingungen für Investitionen aus. Der finanzielle Spielraum für ein investitionsfreundlicheres Steuersystem und mehr Ausgaben in wachstumsförderlichen Bereichen wie Sach- und Humankapital sei vorhanden.
14. November 2014
Im Herbst 2014 expandiert die Weltproduktion in mäßigem Tempo. Zwar setzt sich in den USA und in Großbritannien der Aufschwung fort, aber im Euroraum hat die Erholung, anders als noch im Frühjahr erwartet, nicht Tritt gefasst. Uneinheitlich ist die Konjunktur auch in den Schwellenländern. Die recht schwache weltwirtschaftliche Expansion schlug sich darin nieder, dass der Welthandel im ersten Halbjahr 2014 kaum zugelegt hat.
Das Tempo der weltwirtschaftlichen Expansion wird im Prognosezeitraum voraussichtlich mäßig bleiben. Der Aufschwung in den USA wird sich fortsetzen. Dafür sprechen insbesondere die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die allmähliche Erholung am Arbeitsmarkt und die gesunkene Verschuldung der privaten Haushalte. Im Euroraum wird die konjunkturelle Dynamik im Prognosezeitraum weiter schwach bleiben. Die seit längerer Zeit erwartete Belebung zeichnet sich bisher nicht ab, entsprechend wurden die Prognosen schrittweise nach unten korrigiert. Da die Weltkonjunktur nur mäßig aufwärtsgerichtet bleibt, sind keine wesentlichen Impulse vom Export zu erwarten. Alles in allem rechnen die Institute mit einem Anstieg der Weltproduktion um 2,6% im Jahr 2014 und um 3% im Jahr 2015.
Die Risiken für die Weltkonjunktur sind erheblich. Das liegt an den Problemen am Immobilienmarkt Chinas, aber auch am Konflikt Russlands mit dem Westen. Auch die niedrige Preisdynamik im Euroraum deutet auf Risiken hin. Für den Euroraum insgesamt ist aber gegenwärtig nicht mit einem Deflationsszenario zu rechnen.
Die deutsche Konjunktur hat sich abgekühlt. Mehrere Faktoren dürften hierzu beigetragen haben. Die weltwirtschaftliche Produktion expandierte mit einem unerwartet mäßigen Tempo, insbesondere der Euroraum befindet sich nach wie vor in einer Schwächephase. Internationale Krisen wie der weiter schwelende russisch-ukrainische Konflikt und die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak trübten die wirtschaftlichen Aussichten zusätzlich ein. Aber auch die deutsche Binnennachfrage zeigt deutliche Zeichen von Schwäche. Die privaten Konsumausgaben stiegen im zweiten Quartal nur wenig, und das Konsumklima verschlechterte sich zuletzt. Die Unternehmensinvestitionen gingen im zweiten Quartal zurück, und kaum etwas spricht dafür, dass sich die Investitionszurückhaltung bald legen wird.
Vor diesem Hintergrund ist der konjunkturelle Ausblick für Deutschland verhalten. Im dritten Quartal wird die gesamtwirtschaftliche Produktion lediglich stagniert haben. Die Industrieproduktion dürfte erneut gesunken sein. Die Frühindikatoren sprechen dafür, dass die Expansion bis zum Jahresende schwach bleiben wird. So waren die Auftragseingänge im Durchschnitt der Monate Juli und August niedriger als im zweiten Quartal. Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2014 voraussichtlich um 1,3% steigen. Das 68%-Prognoseintervall reicht dabei von 1,1% bis 1,5%. Wegen der Stagnation im zweiten Halbjahr wird die Auslastung der deutschen Wirtschaft zurückgehen, die Produktionslücke bleibt negativ.
Die konjunkturelle Schwäche hinterlässt erste Spuren auf dem Arbeitsmarkt: Der Beschäftigungsaufbau hat sich verlangsamt, und die registrierte Arbeitslosigkeit hat zuletzt geringfügig zugenommen. Die Inflationsrate ist niedrig. Im September lagen die Verbraucherpreise um 0,8% über dem Vorjahr, wozu auch externe Faktoren, wie der Rückgang der Energiepreise, beigetragen haben. Die Verbraucherpreisinflation dürfte im Jahr 2014 bei 1,0% liegen.
Die Aussichten für die Konjunktur sind auch deshalb gedämpft, weil Gegenwind von der Wirtschaftspolitik kommt. Zwar gehen von der Finanzpolitik, gemessen an den diskretionären Maßnahmen, expansive Impulse aus, doch wirken das Rentenpaket und die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns wachstumshemmend. Auch nutzt die Bundesregierung ihren finanziellen Spielraum zu wenig für investive Zwecke. All dies wirkt sich wohl negativ auf die private Investitionsneigung aus.
Der Produktionsanstieg im Jahr 2015 wird wohl geringer ausfallen als bisher erwartet; die Institute prognostizieren, dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015 um 1,2% zunehmen wird; kalenderbereinigt entspricht dies nur einem Anstieg um 1,0%. Das 68%-Prognoseintervall reicht von −0,3 bis 2,7%.
Wichtigste Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es in diesem Umfeld, jetzt die Wachstumskräfte zu stärken und günstige Rahmenbedingungen für die Investitionstätigkeit zu setzen. Ein gewisser Spielraum für eine gestaltende Finanzpolitik steht hierfür zur Verfügung. Auf der Einnahmenseite sollte dieser dazu genutzt werden, das Steuersystem investitions- und wachstumsfreundlich zu gestalten, insbesondere durch eine Senkung der Abgabenbelastung. Auf der Ausgabenseite sollten die Ausgaben der öffentlichen Hand in solchen Bereichen, die potenziell das Wachstum erhöhen – also Ausgaben in Sach- und Humankapital –, ausgeweitet werden. Dabei ist allerdings davor zu warnen, die Mittel nach dem Gießkannenprinzip oder nach Länderproporz zu verteilen. Stattdessen müssen Effizienzgesichtspunkte leitend sein.