Kommentar: Wen die Götter bestrafen wollen, dessen Gebete erhören sie
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in ihrer Ratssitzung am 8. September dieses Jahres entschieden, die Zinsen auf absehbare Zeit auf dem gegenwärtigen niedrigen Niveau zu halten, und hält sich offen, das Anleihekaufprogramm über den März 2017 hinaus zu verlängern. Sie kauft weiterhin monatlich Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Wert von 80 Milliarden Euro, ist aber auch noch zu weiterem Handeln bereit – alles andere wäre auch ein falsches Signal gewesen. Eine Verlängerung des Ankaufprogramms nicht in Aussicht zu stellen – und damit implizit auch ein Ende der Niedrigzinsphase in Betracht zu ziehen –, dies hätten die Märkte als Signal zum Ausstieg aus der aktuellen Geldpolitik gedeutet. Das wiederum hätte sich umgehend auf Zinsen und Vermögenswerte ausgewirkt und wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt hochproblematisch. Denn noch immer liegt die Inflationsrate deutlich unter dem Zielwert der EZB von 2%.
04. Oktober 2016
Die Kritik an der Geldpolitik der EZB kommt aktuell von vielen Seiten. Zum Beispiel von den Banken, die unter den niedrigen Zinsen leiden. Ihre Zinsüberschüsse sinken, weil Einlagenzinsen weniger stark fallen (können) als Kreditzinsen und viele Banken in Deutschland und Europa Schwierigkeiten haben, auf andere Geschäftsfelder auszuweichen, zum Beispiel auf Anlageberatung oder das Platzieren von Anleihen. Sie fordern eine möglichst sofortige Kehrtwende der EZB-Zinspolitik.
Doch: "Wen die Götter bestrafen wollen, dessen Gebete erhören sie". Womöglich passt dieses Sprichwort auch zur aktuellen Kritik der Banken. Denn ein Ausstieg der EZB aus der expansiven Geldpolitik würde kurzfristig die Probleme im Zinsgeschäft der europäischen Banken nicht nur nicht lösen, sondern sogar verschärfen. Es gehört zu den Absurditäten der aktuellen Debatte, dass gerade diejenigen Banken, die aktuell unter der Niedrigzinspolitik und dem Kaufprogramm der EZB am meisten leiden, eben auch genau diejenigen wären, die am stärksten von kurzfristig höheren Zinssätzen negativ betroffen wären. Denn Kredite, die im Niedrigzinsumfeld ausgegeben wurden, würden bis zu ihrer Fälligkeit in einigen Jahren weiterhin eine nur niedrige Rendite für die Banken abwerfen. Gleichzeitig würden bei einer Kehrtwende der EZB die Einlagenzinsen wohl deutlich schneller steigen. Die Margen würden also kurzfristig noch weiter fallen. Es ist richtig, wenn einige Beobachter die EZB-Zinspolitik dahingehend kritisieren, dass diese das Potenzial hat, finanzielle Ungleichgewichte und Blasen zu schaffen und damit die Finanzstabilität gefährdet. Allerdings wären möglicherweise die kurzfristigen Konsequenzen eines vorzeitigen und schlecht vorbereiteten Ausstiegs aus der Niedrigzinspolitik für die Finanzstabilität noch weit dramatischer.
Wen die Götter bestrafen wollen, dessen Gebete erhören sie
Daher gilt: Falls und sobald die EZB aus dem Anleihekaufprogramm und der Niedrigzinspolitik aussteigen will (und damit ist keinesfalls vor Ende 2017 zu rechnen), muss dieser Schritt gründlich vorbereitet werden und von makroprudenziellen Maßnahmen begleitet sein, also von Maßnahmen, die die Stabilität des Finanzsystems sichern. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen wirklich alle Altlasten aus vergangenen Krisen aus den Bilanzen der Banken getilgt sein. Wie wichtig eine vorausschauende Planung in der Geldpolitik ist, wurde spätestens Ende letzten Jahres offensichtlich, nachdem die Federal Reserve einen ähnlichen Schritt unternahm und anfing, aus ihrem Kaufprogramm auszusteigen.