Wie können wir den Wettbewerb im Dienstleistungsbereich ankurbeln – ein Tagungsbericht
Am 6. Juli 2016 veranstaltete das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zusammen mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland eine Konferenz zum Thema “Wie können wir den Wettbewerb im Dienstleistungssektor ankurbeln?”. In den Räumlichkeiten der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin tauschten etwa 60 Teilnehmer aus Wissenschaftseinrichtungen, Ministerien, der EU-Kommission und anderen Organisationen ihr Wissen und ihre Sicht zu Reformen des Dienstleistungssektors in Deutschland aus.
04. Oktober 2016
Reformen im Dienstleistungsbereich in Deutschland erforderlich
Seit längerer Zeit sei das deutsche Produktivitätswachstum relativ schwach im Vergleich zu den USA, merkte Professor Dr. Oliver Holtemöller, Vizepräsident des IWH, in seiner Eröffnungsrede an. Dieser Rückstand sei zu einem guten Teil dem Dienstleistungssektor zuzuschreiben, aber auch die relativen Schwächen der Wissensökonomie sowie der relativ hohe Grad an Arbeits- und Produktmarktregulierung in Deutschland spielten eine Rolle.
Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, betonte außerdem, dass die Umsetzung von Reformen nicht verzögert werde dürfe. Reformen seien zentral, um die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit Europas zu gewährleisten. Auch er sieht Schwächen im deutschen Dienstleistungsbereich – jedoch nicht nur im Vergleich zu den USA, sondern auch verglichen mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Deutschland solle deshalb die länderspezifischen Empfehlungen der Kommission als einen Beitrag zu einem im deutschen Interesse liegenden Reformprozess betrachten.
Für die Europäische Kommission argumentierte auch der Direktor der DG GROW (Generaldirektion für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und kleine und mittlere Unternehmen), Joaquim Nunes de Almeida. Seiner Ansicht nach führt der Abbau regulativer Hindernisse sowohl zu günstigeren Dienstleistungen als auch größerer Konsumentenfreiheit. Gleichzeitig würde außerdem die Produktivität im Dienstleistungs- und Industriesektor ansteigen. Er stellte “berufsspezifische Empfehlungen”, einen “Verhältnismäßigkeitstest” und einen “Dienstleistungspass” als neue Analyse- und Politikinstrumente der EU-Kommission vor.
Skeptischer Blick von Politik und Verbänden
Der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Brigitte Zypries, zufolge sind einige Besonderheiten der deutschen Wirtschaft oft kritisiert worden. Dazu zählen beispielsweise die paritätische Mitbestimmung und das Sparkassenwesen. Aus ihrer Sicht tragen aber eben jene zur aktuellen wirtschaftlichen Stärke bei. Forderungen nach Deregulierung im Dienstleistungssektor beziehen sich ihrer Meinung nach im Wesentlichen auf die freien Berufe. Jede Regulierung dort muss dementsprechend gut begründet sein und wird regelmäßig überprüft. Deregulierungen könnten dennoch zu Marktkonzentration führen und damit das Versprechen höheren Wettbewerbs nicht erfüllen, merkte sie außerdem an.
Dirk Palige, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), bekundete seine Zweifel am dargestellten Nutzen von Deregulierung. Die Datenverfügbarkeit begrenze die Aussagekraft ökonomischer Studien und die Empirie zeige eine große Bandbreite an Resultaten. Eine Erhöhung der Arbeitsmobilität sei zwar wünschenswert, werde aber eher von Sprach- und Kulturbarrieren behindert als von Regulierung. Ferner müsse die Berufsausbildung attraktiver und kleine und mittlere Unternehmen bei der Bewältigung des technologischen Wandels deutlicher unterstützt werden. Schließlich, so Palige, bedürfe es einer Rückbesinnung auf einzelstaatliche Lösungen, da die Wirtschaftsstrukturen zu heterogen für einen einheitlichen Regulierungsrahmen seien.
Keynote: Reformen für Europa
Professor Dr. Henrik Enderlein, Direktor des Jaques Delors Instituts Berlin und Professor an der Hertie School of Governance, skizzierte in seinem Keynote-Vortrag “Welche Strukturreformen für Europa?”, wie Strukturreformen gegliedert und umgesetzt werden können. Zunächst stellte er den Arbeitsmarkt, den öffentlichen Sektor, die Besteuerung, den Finanzsektor und den Produktmarkt als Schlüsselbereiche vor. Für jeden Bereich unterschied er zwischen „unerledigten Reformen“ und „Reformen der nächsten Stufe“ und teilte die Euroländer nach ihrem aktuellen Reformbedarf ein. Statt eine lange Liste an Reformvorschlägen zu präsentieren, solle die EU sich auf die richtige Gewichtung und Abfolge von Reformen konzentrieren, so der Wissenschaftler.
Liberalisierung hat positive Effekte
Werden die Effekte von Strukturreformen analysiert, konzentriert sich die Betrachtung überwiegend auf den gesamtwirtschaftlichen Rahmen. Die erste Panel-Sitzung „Vergangene Reformen im Dienstleistungssektor und deren Wirkung“ bezog sich indes auf Studien, die auf Mikrodaten basieren. Dr. Davud Rostam-Afschar von der Universität Stuttgart-Hohenheim analysierte die Effekte der Liberalisierung der Handwerksordnung und konnte hierbei eine erhöhte Dynamik feststellen: Gegenüber der unveränderten Gruppe von Meisterberufen stieg nach der Liberalisierung die Wahrscheinlichkeit des Markteintritts und der Selbstständigkeit um 60%. Paolo Mengano von der Bocconi Universität untersuchte hingegen die Auswirkungen einer Deregulierung im Transportsektor auf verschiedene firmenspezifische Variablen sowie Übertragungseffekte auf die Industrie. Er ermittelte, dass kurzfristig zwar negative Effekte auftreten, diese jedoch langfristig durch positive Effekte kompensiert werden. So nimmt langfristig sowohl die Beschäftigung als auch die Anzahl der Firmen gegenüber der Periode vor der Deregulierung zu. Dr. Stefan Profit vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie forderte von Ökonomen, auch die direkten Vorteile für Konsumenten und Qualitätsmaße in ihren Analysen zu berücksichtigen.
Weniger Regulierung für Deutschland
Dr. Oliver Arentz vom Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln zeigte den Rückgang der Regulierungsintensität in Deutschland auf. Er wies aber auch auf das Potenzial einer noch weiter gehenden Deregulierung hin: Diese könne auch recht einfachen Prinzipien folgen, etwa der Orientierung an bereits in Teilbereichen bestehenden lockereren Regeln. Eric Canton, Ph.D., von der Europäischen Kommission stellte Berechnungen vor, die zeigen, wie sich Deregulierung im Dienstleistungssektor auswirkt: So konnten reduzierte Preisaufschläge sowie positive Effekte auf Produktivitätszuwachs und Wirtschaftswachstum nachgewiesen werden. Dr. Jochen Andritzky, Generalsekretär beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, stimmte der positiven Einschätzung von Dienstleistungsderegulierung zu, wies aber auf Schwierigkeiten bei der politischen Umsetzung hin.
Evidenzbasierung als Grundlage von Politikberatung
In seinen Schlussworten wies Professor Dr. Oliver Holtemöller erneut auf die positiven Effekte von Deregulierung hin. Ökonomen hätten jedoch auch zusätzlich die Aufgabe, realitätsnahe Argumente zu liefern und die evidenzbasierte Politikberatung zu verbessern.