Der Börsengang und die interne Organisation des Unternehmens
In diesem Beitrag wird untersucht, wie Unternehmen ihre Organisation anpassen, wenn sie erstmalig an die Börse gehen (initial public offering, IPO). Im Zuge des Börsengangs wandeln sich Unternehmen in eine hierarchischere Organisation um und verstärken die Aufsicht durch das Management. Organisatorische Funktionen in den Bereichen Rechnungswesen, Finanzen, Informationstechnologie und Personalwesen gewinnen an Bedeutung. Sie tauschen einen großen Teil ihrer Belegschaft und fast ihr gesamtes Management aus, um ihr Humankapital an die neue Organisation anzupassen. Die neue Organisation erleichtert interne Versetzungen und Beförderungen. Insgesamt ist das Unternehmen durch den Börsengang einem Wandel unterworfen, der die Abhängigkeit des Unternehmens von einzelnen Beschäftigten verringert und den Produktionsprozess effizient organisiert.
06. March 2024
Der Börsengang als Herausforderung für die Unternehmensorganisation
Der Börsengang galt lange Zeit als wichtiger Meilenstein im Lebenszyklus eines Unternehmens.1 Seit den 2000er Jahren ist jedoch ein Rückgang der Börsengänge zu beobachten, während privates Beteiligungskapital auf dem Vormarsch ist.2 Die Rekordzahl von Einhörnern – nicht börsennotierte Start-ups mit Bewertungen von mindestens einer Milliarde US-Dollar – deutet darauf hin, dass die Unternehmen eher bereit sind, Privilegien an Eigenkapital-Investoren abzutreten als einen Börsengang anzugehen.3 Diese Entwicklungen können eine Folge zunehmender Kosten eines Börsengangs sein. Ein Teil dieser Kosten wird durch organisatorische Veränderungen verursacht, die in der Regel vor dem Börsengang vorgenommen werden müssen. Dieser Beitrag wirft am Beispiel von Börsengängen deutscher Unternehmen einen genaueren Blick auf den Zusammenhang von Börsengang und Unternehmensorganisation.
In seiner Präsidentschaftsrede vor der American Finance Association weist Rajan darauf hin, dass der Zugang zu Aktienmärkten davon abhängt, wie das Unternehmen organisiert ist: Um sein Unternehmen an die Börse zu bringen, muss der Unternehmer es so umgestalten, dass der Unternehmenswert weniger von einzelnen Beschäftigten abhängt.4 Darüber hinaus muss das Unternehmen aus regulatorischer Sicht in Vorbereitung des Börsengangs seine interne Organisation anpassen, um erweiterte Rechenschaftspflichten sowie die Wertpapiervorschriften und Offenlegungspflichten zu erfüllen. Insgesamt hat es den Anschein, dass die erforderlichen organisatorischen Änderungen für die Entscheidung, an die Börse zu gehen oder in Privatbesitz zu bleiben, von vorrangiger Bedeutung sind, insbesondere wenn der innovative Charakter des Unternehmens auf seine Organisation zurückzuführen ist. Trotz der Bedeutung der organisatorischen Veränderungen für das Verständnis der Kosten und Nutzen eines Börsengangs wissen wir jedoch nur sehr wenig darüber, wie der Börsengang die interne Organisation des Unternehmens verändert. In diesem Beitrag öffnen wir die Blackbox, indem wir untersuchen, wie Unternehmen ihre Organisation anpassen, wenn sie an die Börse gehen.
Hierarchisierung und Standardisierung von Unternehmen vor dem Börsengang
Wir gliedern unsere Analyse um zwei theoretische Bezugsrahmen. Der erste Rahmen stützt sich auf Rajan, der argumentiert, dass Unternehmen ihre Organisation standardisieren müssen, um an die Börse gehen zu können. Die zugrunde liegende Erkenntnis ist, dass verstreute Eigentümer dem Unternehmen nur dann Eigenkapital zur Verfügung stellen werden, wenn der Unternehmenswert nicht entscheidend vom Unternehmer oder anderen wichtigen Beschäftigten abhängt, da diese das Unternehmen nach dem Börsengang verlassen könnten. Standardisierung – der Prozess der Schaffung von organisatorischen Funktionen, systematisierten internen Prozessen und Stellenprofilen sowie Kontrollsystemen – wird die personenspezifischen Aspekte der Arbeitsweise des Unternehmens reduzieren, was den Austausch von Beschäftigten erleichtert und so das Humankapitalrisiko des Unternehmens verringert. Daher erwarten wir, dass börsennotierte Unternehmen Managementkapazitäten und organisatorische Funktionen aufbauen bzw. ausweiten, um das Unternehmen zu standardisieren. Als Folge der Standardisierung erwarten wir, dass börsennotierte Unternehmen einen viel aktiveren internen Arbeitsmarkt und eine Belegschaft aufweisen, die weniger von spezifischen Fähigkeiten und Erfahrungen abhängig ist.
Der zweite Rahmen betrifft die hierarchische Organisation des börsennotierten Unternehmens mit dem Ziel, die Produktion effizient zu organisieren. Die Regulierung der Finanzmärkte und die Offenlegungspflichten werden die Tätigkeit eines börsennotierten Unternehmens wesentlich komplexer machen, da alle Produktionsstufen rechenschaftsfähig sein müssen, um die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten und die Informationsasymmetrie gegenüber externen Investoren zu verringern. Die Organisationsökonomik sagt voraus, dass ein komplexerer Produktionsprozess es erforderlich macht, dass das börsennotierte Unternehmen hierarchischer wird und einen größeren Anteil seiner Arbeitskräfte in den höheren Rängen der Organisation einsetzt.5 Daher erwarten wir, dass börsennotierte Unternehmen in dem Maße hierarchischer werden, wie sie das für den Börsengang erforderliche Fachwissen internalisieren.
Daten und Methoden
Wir untersuchen die organisatorischen Veränderungen im Zusammenhang mit Börsengängen in Deutschland, da wir durch den direkten Zugang zu deutschen statistischen Daten die Organisation des börsennotierten Unternehmens im Hinblick auf die hierarchische Struktur, die organisatorischen Funktionen (Rechnungswesen, Finanzen, Informations- und Kommunikationstechnologie, Personalwesen, Vertrieb, Marketing) und die Aufsicht durch das Management darstellen können. Als Hauptmaße für die hierarchische Struktur eines Unternehmens verwenden wir die Anzahl der hierarchischen Ebenen im Unternehmen und die Verteilung der Mitarbeiter über die hierarchischen Ebenen des Unternehmens. Wir führen Differenz-in-Differenzen-Analysen für den Zeitraum von zwei Jahren vor dem Börsengang-Jahr bis zwei Jahre nach dem Börsengang-Jahr durch, wobei wir als Kontrollgruppe eine Stichprobe von Unternehmen in Privatbesitz verwenden, die hinsichtlich der hierarchischen Struktur, der organisatorischen Funktionen, der Unternehmensgröße, des Wachstums vor dem Beobachtungszeitraum, des Unternehmensalters, der Branchenzugehörigkeit und des Lohnniveaus der Arbeitskräfte mit den an die Börse gebrachten Unternehmen vergleichbar sind.
Zentrale Ergebnisse
Unsere Ergebnisse stehen im Einklang mit der Standardisierung des Unternehmens und den Bemühungen um eine effiziente Organisation des börsennotierten Unternehmens. Der Börsengang unterwirft das Unternehmen einem rigorosen Wandel, der organisatorische Funktionen und Managementstrukturen entwickelt und das Unternehmen hierarchischer und „kopflastiger“ (top heavy) macht. Bemerkenswert ist, dass die meisten organisatorischen Veränderungen vor dem oder im Jahr des Börsengangs stattfinden, was darauf hindeutet, dass die beobachteten organisatorischen Veränderungen tatsächlich der Vorbereitung des Börsengangs dienen. Insgesamt verdeutlichen unsere Ergebnisse einen zentralen Zielkonflikt: Die Transformation ermöglicht den Zugang zu öffentlichen Aktienmärkten, behindert aber die Innovationsfähigkeit des Unternehmens, da Hierarchien das Unternehmen bürokratischer machen.6
Organisatorische Veränderungen: Mehr Hierarchieebenen, geringere Kontrollspannen
Zu den häufigsten organisatorischen Veränderungen gehört die Anpassung der hierarchischen Struktur der börsennotierten Unternehmen: Sie richten zusätzliche Hierarchieebenen ein und setzen einen größeren Anteil ihrer Arbeitskräfte in den oberen Ebenen des Unternehmens ein. Unternehmen fügen im Rahmen des Börsengangs im Durchschnitt eine vollständige Ebene in der Hierarchie hinzu, was einer Zunahme von 33% entspricht. Nur etwa ein Drittel des Anstiegs der Ebenen im Vergleich zur Kontrollgruppe lässt sich durch das Wachstum der Beschäftigung, der Anzahl der Betriebe, Branchen oder Regionen bei den an die Börse gebrachten Firmen erklären. Das Unternehmenswachstum erklärt zwar einen Teil der hierarchischen Veränderungen im Zusammenhang mit Börsengängen, ist aber nicht die Hauptursache für diese Veränderungen.
Zugleich verändern sich die oberen Ebenen der Hierarchie in ihrer relativen Größe: Alle Ebenen oberhalb der untersten Ebene, in der die meisten Arbeiter in der Produktion beschäftigt sind, nehmen überproportional zu, wodurch die Organisation viel kopflastiger wird. Infolgedessen sinkt die Kontrollspanne, die das Verhältnis zwischen den Beschäftigten einer bestimmten Hierarchieebene und den Beschäftigten der darüberliegenden Ebene angibt. Diese Ergebnisse stimmen mit der Vorstellung überein, dass ein Börsengang die Komplexität des Produktionsprozesses erhöht, sodass mehr Beschäftigte in höheren Rängen benötigt werden, um das Unternehmen kontrollierter zu führen.
Höhere Fluktuation
Die Fluktuation der Beschäftigten ist in den Unternehmen, die an der Börse eingeführt wurden, um 40% höher als in den Kontrollunternehmen, was den Umfang der internen Umstrukturierung des Unternehmens unterstreicht. Die Mitarbeiterfluktuation ist in allen Bereichen hoch, übermäßig hoch ist sie jedoch im Finanz- und Rechnungswesen sowie im Management. Die Börsengang-spezifische Fluktuation im Management liegt bei nahezu 100%, was bedeutet, dass das Management fast vollständig ausgetauscht wird. Wir stellen fest, dass die Fluktuation über den Zeitraum des Börsengangs verschoben wird: Neueinstellungen erfolgen in erster Linie vor dem Börsengang und Entlassungen in erster Linie nach dem Börsengang, vermutlich um eine gewisse Überschneidung zu erreichen und den Wissenstransfer zu ermöglichen. Außerdem stellen wir fest, dass die neu eingestellten Beschäftigten andere Tätigkeiten ausüben als die ausgeschiedenen, was bedeutet, dass die neu eingestellten Personen nicht direkt die frei gewordenen Stellen ersetzen. Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass ein erheblicher Teil der ursprünglichen Arbeitskräfte nicht den Humankapitalanforderungen eines börsennotierten Unternehmens entspricht. Darüber hinaus verdeutlichen die Ergebnisse die mit einem Börsengang verbundenen Arbeitskosten: Die Personalabteilungen schätzen die Kosten für die Einstellung und Schulung eines neu eingestellten Beschäftigten in der Regel auf ein halbes bis zwei Jahresgehälter, je nach Qualifikationsniveau der Stelle.
Erfahrungswissen geht verloren, formale Qualifikation der Beschäftigten nimmt zu
Der Gang an die Börse verändert die Zusammensetzung der Arbeitskräfte. Zwei Jahre nach dem Börsengang verfügen die Beschäftigten im Durchschnitt über weniger Erfahrung in der von ihnen ausgeübten Funktion als zwei Jahre vor dem Börsengang. Die Arbeitskräfte verfügen im Durchschnitt auch über weniger branchenspezifische Erfahrung. Andererseits steigt das Bildungsniveau der Arbeitskräfte an. Darüber hinaus hat ein größerer Anteil der Arbeitskräfte vor ihrem Eintritt in die neu börsennotierten Unternehmen bereits für ein börsennotiertes Unternehmen gearbeitet. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit der Vorstellung, dass die Tätigkeitsprofile (Rollen) standardisierter geworden sind, was es dem Unternehmen ermöglicht, Talente aus anderen Branchen einzustellen und Beschäftigte innerhalb des Unternehmens zu versetzen, was wiederum das Humankapitalrisiko senkt.
Zusammenfassung
Wir untersuchen den Zusammenhang zwischen der Art des Unternehmens und dem Zugang zu Aktienkapital. Wir liefern empirische Belege dafür, dass der Zugang zu Aktienmärkten davon abhängt, wie das Unternehmen organisiert ist. Wir stellen fest, dass der Börsengang mit dem Aufbau von Hierarchien, Organisationsfunktionen und Managementstrukturen verbunden ist. Die organisatorischen Veränderungen stehen im Einklang mit der Standardisierung des Unternehmens. Es wird einfacher, Beschäftigte innerhalb des Unternehmens zu versetzen und Personen aus anderen Unternehmen einzustellen, wodurch das Humankapitalrisiko gesenkt wird.
Wir zeigen, dass das Unternehmen vor dem eigentlichen Termin des Börsengangs mit dem Aufbau von Funktionen wie Finanzen, Buchhaltung und IT beginnt, um die Informationsasymmetrie zwischen Aktionären und Unternehmen in Bezug auf die Unternehmenskennzahlen zu verringern und Transparenz herzustellen, um Kapital von Aktienmärkten zu beschaffen. In ähnlicher Weise baut das Unternehmen durch Investitionen in befähigende Funktionen die notwendige Infrastruktur für Aktivitäten im Bereich von Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions) auf.7 Eine wichtige Erkenntnis aus unserer Arbeit ist daher, dass der Zugang zu den öffentlichen Kapitalmärkten und die Fähigkeit, durch Fusionen und Übernahmen zu wachsen, nicht über Nacht am Tag der Börsennotierung entsteht, sondern von den organisatorischen Investitionen abhängt, die das an die Börse strebende Unternehmen lange vor dem Datum des Börsengangs tätigt.
Politische Implikationen im Zielkonflikt zwischen Kapitalzugang und Innovationsfähigkeit
Die für einen Börsengang erforderliche massive organisatorische Umgestaltung ist vermutlich mit hohen finanziellen Kosten verbunden und lenkt das Unternehmen von seinem Innovations- und Produktionsprozess ab. Diese organisatorischen Kosten des Börsengangs könnten eine Erklärung für den Anstieg von privatem Beteiligungskapital und den Rückgang der Zahl der Börsengänge sein. Die erforderlichen organisatorischen Veränderungen können auch erklären, warum sich viele kleine Privatunternehmen für den Zugang zu öffentlichem Kapital entscheiden, indem sie von einem börsennotierten Unternehmen übernommen werden, das die für einen Börsengang erforderlichen Veränderungen bereits durchgeführt hat.8 Die organisatorischen Veränderungen erfordern eine große Anzahl zusätzlicher Beschäftigter in den organisatorischen Funktionen und im Management. Der erhöhte Personalbestand wird die Kosten der Börsennotierung dauerhaft erhöhen und zu unserem Verständnis der Ursachen für die hohen Kosten der Börsennotierung beitragen, die in Ewens et al. geschätzt werden.9
Diese Ergebnisse haben wichtige politische Auswirkungen auf die kartellrechtlichen Vorschriften und Regelungen, die darauf abzielen, die Möglichkeiten großer Unternehmen zur Übernahme kleinerer Start-ups zu begrenzen. Angesichts unserer Erkenntnis, dass ein Börsengang ein sehr kostspieliges Unterfangen ist, könnte es für kleine innovative Unternehmen effizienter sein, Zugang zu den öffentlichen Kapitalmärkten zu erhalten, indem sie von einem börsennotierten Unternehmen übernommen werden. Daher könnten sich kartellrechtliche Vorschriften, die die Möglichkeiten börsennotierter Unternehmen zur Übernahme anderer Firmen einschränken, negativ auf die Wachstumsaussichten innovativer Start-ups auswirken.
Endnoten
1 Dieser Beitrag beruht auf Bias, D.; Lochner, B.; Obernberger, S.; Sevilir, M.: Going Public and the Internal Organization of the Firm. SSRN Working Paper, 2022.
2 Vgl. Ewens, M.; Farre-Mensa, J.: The Deregulation of the Private Equity Markets and the Decline in IPOs, in: Review of Financial Studies, Vol. 33 (12), 2020, 5463–5509.
3 Vgl. Davydova, D.; Fahlenbrach, R.; Sanz, L.; Stulz, R. M.: The Unicorn Puzzle. National Bureau of Economic Research Working Paper 30604, 2022.
4 Vgl. Rajan, R. G.: Presidential Address: The Corporation in Finance, in: Journal of Finance, Vol 67 (4), 2012, 1173–1217.
5 Vgl. Garicano, L.: Hierarchies and the Organization of Knowledge in Production, in: Journal of Political Economy, Vol. 108 (5), 2000, 874–904.
6 Vgl. Thompson, V. A.: Bureaucracy and Innovation, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 10 (1), 1965, 1–20.
7 Vgl. Aktas, N.; Boone, A.; Witkowski, A.; Xu, G.; Yurtoglu, B.: The Role of Internal M&A Teams in Takeovers, in: Review of Finance, Vol. 25 (4), 2020, 1047–1088. – Vgl. Gokkaya, S.; Liu, X.; Stulz, R. M.: Do Firms with Specialized M&A Staff Make Better Acquisitions?, in: Journal of Financial Economics, Vol. 147 (1), 2023, 75–105.
8 Vgl. Eckbo, B. E.; Lithell, M.: Merger-driven Listing Dynamics. Tuck School of Business at Dartmouth, Research Paper Series, (354758), 2022.
9 Vgl. Ewens, M.; Xiao, K.; Xu, T.: Regulatory Costs of Being Public: Evidence from Bunching Estimation, in: Journal of Financial Economics, Vol. 153, March 2024, 103775.