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ZielstellungPage 2
Daten und MethodikPage 3
ErgebnissePage 4
Zusammenfassung und Endnoten All on one page3 Ergebnisse
Grundlage für die nachfolgenden Ergebnisse sind die 300 6-Steller-Produkte mit dem höchsten absoluten Gasverbrauch. Während die Daten zum Gasverbrauch vollständig sind, fehlen für 14 Produkte die Umsätze, und für 40 Produkte fehlen die Außenhandelsdaten. Vollständige Informationen liegen für 249 der 300 Produkte vor. Bezogen auf den Gasverbrauch aller 300 Produkte machen die vollständigen Fälle 84,5% aus, bezogen auf den Gesamtgasverbrauch der Industrie sind es 75%.
3.1 Deskriptive Auswertung und grundlegende Zusammenhänge
Der Gesamtgasverbrauch der 300 Produkte beträgt jährlich 310 Terrawattstunden. Bei einem jährlichen Gesamtgasverbrauch der Industrie von ca. 350 TWh in den Jahren 2015-2017 ist dies ein Anteil von 89%. Umsatzzahlen liegen für 286 Produkte vor, und insgesamt wird mit diesen Produkten ein Umsatz von etwa 771 Mrd. Euro erzielt. Dies entspricht etwa 45% des Gesamtumsatzes im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland im Berichtszeitraum.
Die Tabelle zeigt univariate Verteilungsmaße für Gasverbrauch, Umsatz, Gasintensität und Importsubstituierbarkeit der 300 Produkte mit dem höchsten Gasverbrauch auf 6-Steller-Produktebene und auf 3-Steller-Industrieebene. Im Mittel verbraucht jedes der 300 Produkte 1,03 TWh Gas pro Jahr, die Spannbreite reicht von 0,19 TWh bis 6,58 TWh. Bei den Umsätzen liegt die Spannbreite auf Produktebene zwischen 17 Mio. und 69 Mrd. Euro. Werden die 249 Produkte, für welche vollständige Informationen zu Umsatz und Außenhandel vorliegen, auf 3-Steller-Industrieebene zusammengefasst, ergibt sich im Mittel pro Industrie ein Verbrauch von 4,95 TWh mit einer Spannbreite von 0,19 TWh bis 89,7 TWh. Die Industrieumsätze bezogen auf diese 249 Produkte liegen zwischen 120 Mio. und 149 Mrd. Euro.
Interessant ist neben den univariaten Verteilungen aber vor allem auch der bivariate Zusammenhang von Gasverbrauch und Umsatz. Daraus lässt sich ableiten, ob Umsatzausfälle dann besonders hoch sind, wenn die Herstellung der Produkte mit hohem Gasverbrauch eingeschränkt wird, oder ob sich Gaseinsparungen mit relativ niedrigem Umsatzausfall bewerkstelligen lassen. Abbildung 2 ordnet die Produkte nach Gasverbrauch und stellt diese dem Umsatz gegenüber. Zur leichteren Darstellung werden die 286 Datenpunkte in 20 ‚bins‘ gebündelt. Es zeigt sich ein deutlicher positiver Zusammenhang: Es wird also dort mehr Umsatz erzielt, wo auch mehr Gas verbraucht wird. Da dieses Ergebnis letztlich den Umfang der Produktion dieser Güter widerspiegelt, ist es interessant, sich zusätzlich den Zusammenhang zwischen Umsatz und Gasintensität (kWh/EUR) anzuschauen. Hier zeigt sich ein sehr starker negativer Zusammenhang (Abbildung 3).6 Somit haben umsatzstarke Produkte eine geringe Gasintensität.7
Um diese Zusammenhänge zu quantifizieren, werden zwei einfache bivariate Regressionsanalyen durchgeführt, bei denen der aus den Abbildungen ersichtlichen Nichtlinearität im Zusammenhang zwischen dem Umsatz und dem Gasverbrauch bzw. der Gasintensität durch Logarithmieren aller Variablen Rechnung getragen wird. Die Ergebnisse zeigen, dass Produkte mit um 10% niedrigerem Gasverbrauch etwa 5% weniger Umsatz erzielen
(t-Wert = 5,7, R2 = 0.10). Die zweite Regression zeigt, dass Produkte mit einer um 10% niedrigeren Gasintensität einen etwa 8% höheren Umsatz erzielen (t- Wert = ‒21,3, R2 = 0.62). In beiden Regressionen ist der Zusammenhang statistisch hoch signifikant von null verschieden.
3.2 Gaspreisanstieg, Gasintensität und Importsubstituierbarkeit
Die Gasintensität liegt für das durchschnittliche 6-Steller-Produkt bei 1,5 kWh/EUR (Tabelle). In den Jahren 2015-2017 lag der Gaspreis für industrielle Abnehmer in Deutschland bei etwa 2,7 Cent pro kWh und stieg bis Juli 2022 um das Vierfache an.8 Die Gaskosten pro Euro Umsatz erhöhten sich im (ungewichteten) Mittel über alle Produkte somit von etwa 4,1 Cent auf 16,2 Cent. Die Gaspreiserhöhungen steigern die Kosten also um 0,12 Euro pro Euro Umsatz, und eine vollständige Umwälzung dieser Kostensteigerung auf die Kunden (bei gleicher Produktion) würde eine Preiserhöhung um 12% erforderlich machen.
Die Heterogenität auf Ebene der einzelnen Produktklassen ist enorm. Die fünf Produkte mit der höchsten Gasintensität (zwischen 11,3 und 26,6) kommen ausnahmslos aus der Chemischen Grundstoffindustrie (Sektor 201).9 Auch wenn ein Wert von 26,6 deutlich macht, dass eine profitable Produktion in Deutschland bereits bei Preisen von 2,7 Cent pro kWh vermutlich nur aufgrund von Kuppelproduktion mit anderen Produkten möglich war, wird klar, dass die Herstellung dieser Produkte bei den aktuellen Gaspreisen kaum mehr lukrativ sein kann. Die Substitution durch Importe (Welthandel ohne EU-Exporte) ist für vier der fünf Produkte vergleichsweise einfach möglich. Eine Drosselung oder Einstellung der Produktion in Deutschland und die Substitution durch Importe sind wahrscheinlich. Würde die Produktion dieser fünf Chemieprodukte in Deutschland vollständig eingestellt, ergäbe sich rechnerisch eine jährliche Gaseinsparung von 18 TWh bei einem Umsatzausfall von lediglich 850 Mio. Euro. Am anderen Ende der Skala finden sich Produkte aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau. Bei einer Gasintensität von nur 0,02 kWh/EUR fällt lediglich eine Verteuerung um 0,15 Cent pro Euro Umsatz an. Eine signifikante Drosselung der Produktion aufgrund steigender Gaspreise ist somit unter der Annahme nicht zu erwarten, dass Vorprodukte nicht wesentlich durch den Gaspreisanstieg verteuert werden.
3.3 Szenarien
Um die Dimensionen möglicher Umsatzausfälle und Gaseinsparungen infolge von Produktionsdrosselungen abschätzen zu können, werden nachfolgend beispielhaft vier Szenarien durchgerechnet, die sich im Wesentlichen darin unterscheiden, welche Informationen auf Produktebene für die jeweilige Vorhersage herangezogen werden. Alle Szenarien nehmen an, dass Gas kurzfristig nicht durch andere Energieträger substituiert werden kann.
In Szenario 1 wird angenommen, dass keine Informationen zu Verbräuchen auf Produktebene vorliegen und gefragt, wie hoch der Umsatzverlust wäre, würde für alle 286 hier untersuchten Industrieprodukte die gleiche prozentuale Reduktion des Gasverbrauchs um 20% vorgenommen. Bei einem Gesamtverbrauch von insgesamt 297 TWh und einem Umsatz von 771 Mrd. Euro würden 59 TWh Gas eingespart, aber 154 Mrd. Euro Umsatz verlorengehen.
Szenario 2 nimmt an, dass Gasverbräuche und Umsätze auf Produktebene bekannt sind und fragt, wie viel Umsatz ausfällt, wenn eine 20%-Verbrauchssenkung so erzielt würde, dass nur die Produkte mit dem höchsten absoluten Gasverbrauch nicht mehr produziert würden. Bezieht man die Einsparziele auf die gesamten 350 TWh, die in der Industrie verbraucht werden, würden in diesem Szenario 15 Produkte nicht mehr hergestellt. Diese Produkte stehen für eine Einsparung von 72 TWh bei einem Umsatzausfall von lediglich 27 Mrd. Euro. Bezieht man die Einsparziele auf den Gasverbrauch der 286 hier untersuchten Industrieprodukte, können 59 TWh Gas bei einem Umsatzausfall von 21 Mrd. Euro eingespart werden.
Für die Szenarien 1 und 2 wurde die Importsubstituierbarkeit und somit mögliche volkswirtschaftliche Schäden durch gerissene Lieferketten nicht berücksichtigt. Auch wurde nur der Gasverbrauch, nicht aber die Gasintensität berücksichtigt.Die Szenarien 3 und 4 nutzen hingegen die vollständigen Informationen auf Produktebene und unterscheiden sich danach, wie leicht die gestiegenen Gaskosten auf die Kunden umgewälzt werden können.
Szenario 3: vollständiger Produktionsstopp für Produkte in Quadrant 1 von Abbildung 1
Szenario 4: vollständiger Produktionsstopp für Produkte in Quadrant 1 von Abbildung 1 und hälftige Produktionsdrosselung für Produkte in Quadrant 2 von Abbildung 1
Die grundlegende Annahme für Szenario 3 ist, dass heimische Produktionsausfälle bei Produkten mit hoher Importsubstituierbarkeit vollständig durch Importe ausgeglichen und somit Unterbrechungen der Wertschöpfungsketten in Deutschland verhindert werden. Auch wenn dieses Szenario (genau wie die Szenarien 1 und 2) keinen Anspruch auf die Berücksichtigung allgemeiner Gleichgewichtseffekte erheben kann, so kann doch argumentiert werden, dass diese bei Zutreffen der Annahme zur Importsubstitution nicht sehr groß sein dürften. Dies gilt vor allem deshalb, weil, wie nachfolgend gezeigt, die direkten Umsatzausfälle an sich bereits sehr gering sind und somit zum Beispiel Effekte auf den Binnenkonsum zu vernachlässigen sein dürften.
Quadrant 1 in Abbildung 1 beinhaltet die 54 Produkte, die sowohl über dem Median der Gasintensität (d. h. > 0.81 kWh/EUR) und gleichzeitig über dem Median bei der Importsubstituierbarkeit liegen. Der Median bei der Importsubstituierbarkeit berechnet über den Welthandel abzüglich der Exporte aus der EU beträgt 1/0,131 = 7,6. Die vollständige Einstellung der Produktion der Produkte in Quadrant 1 (Szenario 1) würde den jährlichen Gasverbrauch um 91 TWh senken und Umsatzeinbußen von 47 Mrd. Euro zur Folge haben. Bezogen auf den Gasverbrauch der Industrie sind das 26%, bezogen auf den Umsatz der deutschen Industrie weniger als 3%. Es ließen sich also sehr hohe Gaseinsparungen bei sehr geringen Umsatzausfällen erzielen.10 Szenario 1 kann beliebig angepasst werden. Würde statt einem Produktionsstopp lediglich eine Drosselung der Produktion um 50% angenommen, würden die Gaseinsparungen und die Umsatzausfälle entsprechend nur bei der Hälfte liegen.
In Szenario 4 wird zusätzlich zu Szenario 3 angenommen, dass die Herstellung von Produkten in Quadrant 2 von Abbildung 1 zur Hälfte gedrosselt wird. Es wird somit angenommen, dass die Kostensteigerungen selbst dann nicht voll auf die Kunden überwälzt werden können, wenn die Möglichkeit zur Importsubstitutionsmöglichkeit gering ist. Quadrant 2 beinhaltet 72 Produkte, die für einen Gasverbrauch von 81 TWh und einen Umsatz von 36 Mrd. Euro stehen. Eine hälftige Drosselung senkt den Gasverbrauch entsprechend um 40,5 TWh und den Umsatz um 18 Mrd. Euro. Insgesamt führt Szenario 2 also zu einer Gaseinsparung von 131,5 TWh und einem Umsatzausfall von 65 Mrd. Euro. Bezogen auf den Gasverbrauch der Industrie sind das 38%, bezogen auf den Umsatz der deutschen Industrie weniger als 4%. Wenn in diesem Szenario davon ausgegangen wird, dass zumindest die teilweise ausgefallene Produktion in Quadrant 2 durch Importe substituiert wird, sind auch hier keine deutlich über die 4% Umsatzausfall hinausgehenden Verluste zu erwarten.