Aktuelle Trends: Konvergenzvorsprung der ostdeutschen Wirtschaftsleistung ist dahin!
In der Wirtschaftsleistung je Einwohner haben die ostdeutschen Flächenländer laut amtlichen Angaben seit einigen Jahren kaum noch Fortschritte gegenüber dem Stand in den Ländern des früheren Bundesgebiets erzielt (gemessene Konvergenz). Damit ist der Konvergenzvorsprung der ostdeutschen Pro-Kopf-Produktion gegenüber dem „neoklassisch“ bestimmten Angleichungspfad nicht nur geschmolzen, sondern bereits verschwunden.
18. Dezember 2015
Zwei Wirtschaftsforscher renommierter Universitäten der USA, Robert J. Barro von der Harvard-Universität und Xavier Sala-i-Martin von der Yale-Universität, hatten im Jahr 1991 eine vielbeachtete Studie zu nationalen und regionalen Aufholprozessen veröffentlicht. Ausgehend von den für die Bundesstaaten der USA festgestellten Konvergenzprozessen leiteten sie einen Aufholpfad für Ostdeutschland ab, der eine jährliche Verkürzung des absoluten Leistungsrückstands der ostdeutschen gegenüber der westdeutschen Wirtschaft je Einwohner um 2% vorsieht. Sie gingen, gestützt auf eine Schätzung des späteren Nobelpreisträgers Georg A. Akerlof und dessen Team für 1990, von einem Rückstand des ostdeutschen Leistungsniveaus am Start der deutschen Vereinigung von 50% aus und ermittelten eine Halbwertzeit für den Aufholprozess von 35 Jahren. Das ist die Anzahl der Jahre, die bis zur Halbierung des Rückstands vergehen wird. Dieser Ansatz blieb zwar nicht unwidersprochen, er gilt aber forthin als ein Referenzsystem für den ostdeutschen Aufholprozess.
Die deutsche Politik verließ sich jedoch nicht auf die Konvergenzerfahrungen in den USA, sondern griff bewusst in den wirtschaftlichen Neuaufbau Ostdeutschlands ein. Sie legte massive Förderprogramme zur Modernisierung des unternehmerischen Kapitalstocks und der Produktpalette auf und flankierte den Prozess mit milliardenschweren öffentlichen Investitionen in die Erneuerung der Infrastruktur. Nach dem Motto „Geld gegen Zeit“ gelang es, in den 1990er Jahren ein kräftiges Wachstum in Ostdeutschland auszulösen und schnelle Angleichungsfortschritte an den westdeutschen Stand der Pro-Kopf-Produktion zu erzielen. Von 1994 bis 2010 wurde so ein Konvergenzvorsprung gegenüber dem Referenzpfad erreicht.
Seit der schnellen Angleichungsphase bis 1996 stockt jedoch der Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft, und der Konvergenzvorsprung der Wirtschaftsleistung pro Kopf schmilzt. Ab dem Jahr 2012 ging er vollständig verloren. Nur während der gesamtdeutschen Konjunkturschwäche nach dem Boom im Jahr 2000 und während der Wirtschaftskrise 2008/2009 war der Aufholprozess noch einmal ein wenig vorangekommen. Die Hälfte des von Barro und Sala-i-Martin angezeigten Weges bis zur Angleichung an Westniveau ist damit noch nicht durchschritten, und die Aussichten, dieses Etappenziel demnächst zu erreichen, sind derzeit wenig ermutigend.