Jamaika
Deutschland hat gewählt. Die Wahl hat große Verluste für die Volksparteien SPD und CDU gebracht, beide sind auf historische Tiefststände in der Wählergunst gesunken. Zusammen haben CDU und SPD nur noch knapp 54% der Stimmen; der Tag, an dem eine so genannte Große Koalition keine Mehrheit mehr haben wird, scheint nicht mehr fern. Für die CDU waren die Verluste noch deutlich dramatischer als für die SPD, was aber nicht so sehr ins Gewicht fällt, weil die CDU noch immer stärkste Partei ist und die Kanzlerin stellen kann. Allerdings kann sie nicht alleine regieren. Nachdem die SPD sich zumindest vorläufig (wenn auch nicht völlig glaubwürdig) aus der Regierungsbildung verabschiedet hat, bleibt also nur eine Jamaika-Koalition zwischen CDU, FDP und den Grünen.
06. Oktober 2017
Wo wären die großen Knackpunkte in den Verhandlungen für solch eine Konstellation? Wenn man sich die Wahlprogramme zu zentralen Themen (Steuerpolitik, Geflüchtete, Europa) ansieht, findet man überraschend viele Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien – auch zwischen FDP und Grünen. Beginnen wir mit dem Steuerprogramm. Hier hätte man eigentlich großes Konfliktpotenzial vermutet. Doch so dramatisch ist es nicht: Entlastung niedriger Einkommen bei allen, eher ein höherer Spitzensteuersatz, der aber später einsetzt (bei CDU und Grünen). Die FDP will zwar keinen höheren Spitzensteuersatz und eine Deckelung der Gesamtsteuerbelastung auf 50%, doch da sollte sich ein Kompromiss finden lassen. Keine der drei Parteien will schließlich die Bierdeckelsteuer. Schade, denn eine fundamentale Steuerreform, die die Steuerbasis verbreitert, Steuersätze senkt und das gesamte System vereinfacht, wäre der größte Schritt in Richtung mehr Steuerfairness!
Auch bei den Themen Geflüchtete und Zuwanderung sind die Parteien längst nicht so weit auseinander, wie man vielleicht denken könnte. Die Hauptunterschiede liegen eher im Ton als in der Substanz. Alle drei bekennen sich zum Asylrecht für politisch Verfolgte, wollen aber verhindern, dass so viele Geflüchtete kommen wie im Jahr 2015. Bei allen steht die Bekämpfung der Ursachen von Flüchtlingsströmen im Programm, bei allen sollen die Außengrenzen der EU besser gesichert werden. Die FDP und die Grünen sind etwas klarer, was ein Einwanderungsgesetz angeht. Ein solches Gesetz wäre übrigens wünschenswert, aber wahrscheinlich auch unnötig: Einwanderung innerhalb der EU ist ohne Probleme möglich, und Hochqualifizierte können schon jetzt recht leicht nach Deutschland einwandern. Ein Gesetz würde da wenig ändern. Gerade deshalb und weil die Einwanderung aus anderen EU-Ländern, von der Deutschland in den letzten Jahren immens profitiert hat, mit der wirtschaftlichen Erholung dort abnehmen wird, ist eine Investition in die permanente Integration der Geflüchteten so lukrativ. Nur die Grünen scheinen diesen Zusammenhang zumindest grundsätzlich zu erkennen, wenn sie ihn auch mit einer humanitären Fassade versehen. Am Ende steht einer Einigung in der Flüchtlingsund Einwanderungspolitik nur die Höchstgrenze der CSU im Weg, doch die Verhandlungsposition der CSU sollte durch das Wahlergebnis in Bayern nicht gerade gestärkt sein …
Das größte Problem kommt wohl in Form der Europapolitik auf die Verhandlungspartner zu. Hier sind die Grünen, die verstanden haben, dass der Euro nur mit einer Vertiefung der EU bzw. der Eurozone und einem gewissen Maß an Umverteilung zu haben ist, auf Konfrontationskurs mit der FDP, die, was Europa angeht, ordoliberalen Phantasien einer gemeinsamen Währung ohne gemeinsame Verpflichtungen nachhängt. Man kann nur hoffen, dass hier nicht nur ein fauler Kompromiss geschlossen wird, sondern dass die neue Bundesregierung die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit einem neuen französischen Präsidenten als Gelegenheit begreift, die EU nachhaltig stabiler und effektiver zu machen.