Kommentar: Finanzforschung in Halle: Passt das?
Das IWH hat in den letzten Jahren seine Kapazitäten in der Finanzforschung stark ausgebaut: Eine eigene Abteilung mit mehr als 20 Forschern wurde eingerichtet, darunter zwei W3- und demnächst vier W1-Professuren. Darüber hinaus stellt das IWH eine Datenbank und einen Forschungshub zum Thema „International Banking“ zur Verfügung. Andere Aktivitäten, zum Beispiel im Bereich Industrieökonomik oder Stadtökonomik, wurden deutlich reduziert, um Ressourcen für die neuen Aktivitäten freizumachen.
10. März 2017
Ich werde oft gefragt, ob der Standort Halle der richtige sei, um Finanzmarktforschung zu betreiben. Die Antwort auf diese Frage ist ja, und zwar aus verschiedenen Gründen. Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, in Berlin gäbe es keine Bundesregierung. Denken Sie sich also den Reichstag, das Kanzleramt sowie alle Ministerien und Regierungsgebäude weg. Schwer vorstellbar, denn der Charakter der Stadt würde sich völlig verändern. Ein ähnliches Experiment zu Frankfurt am Main: Stellen Sie sich vor, es gäbe in Frankfurt keinen Finanzsektor. Keine Bankentürme, keine Börse. Auch hier eine völlige Veränderung des Charakters der Stadt. Und zum Schluss stellen Sie sich Halle vor, ohne Banken und ohne Bundesregierung. Was sehen Sie? Sie sehen genau die gleiche Stadt. Halle ist eine Stadt, die weder von großen Regierungsgebäuden noch von der Finanzindustrie direkt profitiert. Und gerade deswegen ist Halle der richtige Ort, um die realwirtschaftlichen Konsequenzen der Finanzmärkte zu untersuchen. Denn die Finanzmärkte ohne ihre Auswirkungen auf Konsum, Wachstum, Beschäftigung, Investitionen und Produktivität zu betrachten, ist vielleicht akademisch interessant und wissenschaftlich von Bedeutung – wirtschaftspolitisch ist es irrelevant. Und wo könnte man die realwirtschaftlichen Auswirkungen des Geschehens an den Finanzmärkten besser untersuchen als in einer Stadt, die von der Realwirtschaft geprägt ist?
Gleichzeitig nutzen wir die lange Tradition des IWH in der Erforschung von Wachstumsprozessen und Strukturwandel, um die Verbindungen zwischen der Realwirtschaft und dem, was auf den Finanzmärkten und in den Banken passiert, besser zu verstehen. Nur wenn man Forschung über Arbeitsmärkte, über Konjunktur und Wachstum mit Finanzforschung verbindet, kann man relevante Politikberatung betreiben, die aufzeigt, wo Risiken für die Realwirtschaft im Finanzsystem bestehen. Und nur so können wir erforschen, welche Verbesserungen in der Finanzregulierung nötig sind, um die Effizienz der Wirtschaft zu erhöhen, Arbeitslosigkeit zu senken und die unvermeidlichen Anpassungsprozesse einer dynamischen Wirtschaft besser zu begleiten.
In Berlin und Frankfurt fällt es mitunter schwer, diese Fragen nicht aus den Augen zu verlieren. In Frankfurt ist es von entscheidender Bedeutung, ob es dem Finanzsystem gutgeht, völlig losgelöst vom Rest der Wirtschaft. Aber wir brauchen kein Finanzsystem, das sich selbst gut genug ist und nur sein eigenes Wohlergehen im Auge hat. Sondern eines, das seine Aufgaben erfüllt, nämlich die effiziente Allokation von Kapital, die Generierung von wichtigen Informationen und die Versorgung der Wirtschaft mit Liquidität. Das zu untersuchen und der Politik ausgewogenen Rat zu geben, gelingt viel besser außerhalb der Finanz- und Regierungs-„Blasen“ in Berlin und Frankfurt. Denn wer seinem Untersuchungsobjekt zu nahe ist, wird allzu leicht selbst Teil von „Hypes“ und Moden und verliert schnell die Objektivität.