Von der Transformation zur Europäischen Integration – 25 Jahre Wirtschaftsentwicklung in den Neuen Ländern – ein Tagungsbericht
Unter dem Titel „Von der Transformation zur Europäischen Integration – 25 Jahre Wirtschaftsentwicklung in den Neuen Ländern“ hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) gemeinsam mit Partnern aus Universitäten in Mitteldeutschland am 18. Februar 2015 Forschungsergebnisse zu 25 Jahren Wirtschaftsentwicklung in den Neuen Ländern vorgestellt. Der Präsident des IWH, Prof. Reint E. Gropp, Ph.D., eröffnete die Tagung und ging auf einen Wandel im Verständnis von Transformation in der IWH-Forschung ein. Die institutionelle Transformation von der Zentralverwaltungs- in die Marktwirtschaft sei abgeschlossen. Angesichts des stagnierenden Aufholprozesses Ostdeutschlands müsse sich die IWH-Forschung nun um Transformation als Wachstumsprozess kümmern und untersuchen, wie Wachstum entsteht, was dabei fördernd oder hemmend wirkt und wie die Finanzmärkte zur effizienten Kapitalallokation beitragen.
30. April 2015
Den Eröffnungsvortrag hielt der Minister für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt, Hartmut Möllring, zum Thema „Ein Vierteljahrhundert des wirtschaftlichen Aufbaus in Sachsen-Anhalt: Erreichtes und künftige wirtschaftspolitische Herausforderungen“. Der Minister verwies darauf, dass Sachsen-Anhalts wirtschaftliche und technologische Kompetenzen ihre Wurzeln im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert haben, und nannte als Beispiele unter anderem die Chemiestandorte in Bitterfeld/Wolfen sowie Leuna. Es folgte eine zweimalige De-Industrialisierung: durch Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und reparationsbedingte Demontagen danach sowie durch den Zusammenbruch der Kombinate nach 1990, die nicht wettbewerbsfähig waren. In keinem anderen ostdeutschen Land habe es so große Kombinate gegeben, während der Mittelstand nur eine untergeordnete Rolle spielte. Gemessen an der Ausgangssituation sei in Sachsen-Anhalt viel erreicht worden: Steigerung des Bruttoinlands-produkts auf das Zweieinhalbfache, Verdreifachung der Arbeitsproduktivität, Halbierung der Arbeitslosenquote. Die statistischen Fakten ergänzte der Minister um Beispiele von Unternehmen in Sachsen-Anhalt, die erfolgreich auf überregionalen und internationalen Märkten agieren, darunter die IFA ROTORION – Powertrain GmbH in Haldensleben, die Längswellen und andere Kraftfahrzeugteile herstellt, und die Laempe & Mössner GmbH, einem Hersteller von Anlagen für die Gießerei-Industrie, mit Hauptsitz in Meitzendorf in Sachsen-Anhalt. Trotz aller Fortschritte und Erfolgsbeispiele sei noch viel zu tun. Es gehe um die I3 – Wachstum durch Innovationen, Investitionen und Internationalisierung, womit er Bezug auf die Mittelstandsoffensive des Landes Sachsen-Anhalt nahm.
Anschließend referierte Prof. Dr. Steffen Müller, Leiter der Abteilung Strukturwandel und Produktivität am IWH und Professor an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, zum Thema „Die Konsequenzen strukturellen Wandels verstehen und gestalten – Über eine neue Forschungsagenda“. Seine Abteilung erforscht die Konsequenzen des strukturellen Wandels. Es gehe insbesondere darum, Anpassungslasten infolge von Massenentlassungen und Betriebsschließungen kausalanalytisch zu ermitteln und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, trug zum Thema „Ostdeutschlands Produktivitätsrückstand: Was dahintersteckt und ob er sich verringern lässt“ vor. Er erklärte den Produktivitätsrückstand mit strukturellen Besonderheiten der ostdeutschen Länder. Diese lägen in der geringen Dichte der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der privaten Wirtschaft, in Unterschieden in der Betriebsgröße und in den Exportquoten. Dadurch entstehe ein Rückstand bei der Innovationskraft und der Produktivität.
Prof. Dr. Michael Fritsch, Friedrich-Schiller-Universität Jena, referierte über das „Innovations-system in Ostdeutschland – Stärken, Schwächen, Entwicklungsperspektiven“. Stärken seien das Qualifikationsniveau, die gut entwickelte Wissenschaftslandschaft, das rege Gründungsgeschehen, die intensive Kooperation bei Innovationen und die Förderpolitik. Schwächen bestünden bei der Produktivität, beim Export sowie in Form einer kleinteiligen Wirtschaft. Mangels Konzernzentralen schlug der Redner vor, Innovationsnetzwerke auf langfristiger Grundlage zu unterstützen.
Professorin Dr. Claudia Becker, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, stellte Befunde über das „Gründungsgeschehen in Sachsen-Anhalt: Erreichtes und künftige Herausforderungen“ vor. Unter den Faktoren, die bei Wissenschaftlern an Hochschulen das Interesse an einer Unternehmensgründung beeinflussten, seien das Geschlecht, die berufliche Position und auch das Vorhandensein von Rollenvorbildern besonders wichtig.
Der Vortrag von Prof. Dr. Thomas Steger, Uni-versität Leipzig, hatte den Titel: „Zur Einkommenskonvergenz zwischen Ost- und Westdeutschland“. Der Redner ging auf drei theoretische Ansätze ein: den neoklassischen Ansatz der vollständigen Konvergenz, den der begrenzten Konvergenz im Zusammenhang mit Bildungsunterschieden und den Ansatz multipler Gleichgewichte durch zunehmende Skalenerträge. Die derzeitige Entwicklung könne am besten durch ein Modell mit zunehmenden Skalenerträgen erklärt werden. Vollständige Konvergenz sei unwahrscheinlich.
Podiumsgespräch „Aufbau Ost – mittendrin oder abgeschlossen?“
Einen Höhepunkt der Tagung bildete das Podiumsgespräch zum Thema „Aufbau Ost – mittendrin oder abgeschlossen?“, an dem Rudolf Bohn, Staatssekretär a. D., Dr. Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer der IHK Halle-Dessau, Prof. Reint E. Gropp, Ph.D., Präsident des IWH, Dr. Klaus-Heiner Röhl, Haupt-stadtbüro des iw Köln, Stefan Weber, Vorsitzender des Vorstands der Sächsischen Aufbaubank sowie Petra Wicher, Geschäftsführerin der Ultraschall¬tech-nik Halle GmbH, teilnahmen. Das Podiumsge¬spräch wurde von Dr. Dorothea Siems, Chef-korrespondentin für Wirtschaftspolitik, DIE WELT, moderiert.
Unter den Podiumsteilnehmern herrschte große Übereinstimmung, dass der Aufbau Ost nicht gescheitert sei. Es wurden zahlreiche Beispiele erfolgreicher Unternehmen genannt. Auch viele der mittels Management-Buy-Outs privatisierten gehörten dazu. Eine völlige Ost-West-Angleichung sei aber nicht zu erwarten, war zu hören. Regionale Unterschiede gehörten zur Normalität. Gleichwohl wurde großer Handlungsbedarf deutlich. Es gehe um die Erzeugung von mehr Wachstumsdynamik, und zwar deutschlandweit. Die chronische Unterfinanzierung von Hochschulen, das Fehlen von institutionellen Investoren, die die Finanzierung der Verwertung guter Ideen übernehmen könnten, das demographisch bedingte Fehlen von Berufsnachwuchs, die geringe Größe ostdeutscher Unternehmen und die Infrastrukturfinanzierung unter den Bedingungen knapper öffentlicher Kassen waren einige der Bereiche, in denen die Podiumsteilnehmer besondere Handlungsbedarfe sahen.