Kommentar: Arbeitnehmer entlasten: Jetzt Steuern und Sozialbeiträge reformieren
Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben in ihrem Frühjahrsgutachten 2015 vorgeschlagen, das System der Abgaben auf Arbeitseinkommen in Deutschland zu reformieren. Eine solche Reform sollte vier Kernelemente beinhalten: Erstens nimmt die steuerliche Belastung mit steigenden Einkommen (Progression) bei kleinen und mittleren Einkommen schneller zu als bei hohen; dieser so genannte Mittelstandsbauch im Einkommensteuertarif sollte eingeebnet werden. Zweitens wird der Spitzensteuersatz schon bei Einkommen erreicht, die etwa dem 1,3-fachen des Durchschnittseinkommens entsprechen; bei der Einführung des progressiven Steuertarifs im Jahr 1958 griff er beim 17-fachen des damaligen Durchschnittseinkommens. Der Spitzensteuersatz sollte tatsächlich erst bei Spitzeneinkommen greifen. Drittens verliert der Solidaritätszuschlag mehr und mehr seine Berechtigung; es handelt sich dabei um eine Ergänzungsabgabe, die ursprünglich zur Finanzierung der Deutschen Einheit vorgesehen war und nur vorübergehender Natur sein sollte. Zudem kommt es immer wieder zu dem Missverständnis, der Solidaritätszuschlag werde nur im Westen bezahlt, obwohl er im Osten genauso erhoben wird. Diese Ergänzungssteuer sollte abgeschafft werden. Viertens sind in der Vergangenheit immer mehr Lasten, die aus allgemeinen Steuern zu finanzieren wären, wie etwa die „Mütterrente“, allein den Sozialversicherungen aufgebürdet worden. Entsprechende Zuschüsse aus Steuermitteln an die Sozialversicherung würden zu niedrigeren Beitragssätzen in der Sozialversicherung führen und damit die Arbeitnehmer entlasten, denn die Steuern speisen sich auch aus Selbstständigen- und Vermögenseinkünften.
30. April 2015
Eine sich an diesen Kernelementen orientierende Reform würde den Keil zwischen Brutto- und Nettolöhnen reduzieren und damit den Arbeitsmarkt effizienter machen sowie die Abgabenlast von Arbeitnehmern insgesamt verringern. Denn diese ist in Deutschland im internationalen Vergleich hoch, und insbesondere die Beiträge zur Rentenversicherung dürften aufgrund der demographischen Entwicklung in Zukunft noch steigen. Es wäre sinnvoll, dafür vorzusorgen und eine günstigere Ausgangsbasis für diese zu erwartenden zukünftigen Belastungen zu schaffen.
Eine Reform des Abgabensystems könnte einem weiteren Anstieg der Abgabenlast entgegenwirken. Ein solcher ergibt sich nämlich automatisch aufgrund der progressiven Natur des deutschen Einkommensteuersystems, wenn der Tarif nicht von Zeit zu Zeit angepasst wird. So sind die Lohnsteuereinnahmen in Relation zu den Lohneinkünften in den vergangenen drei Jahren kräftig gestiegen. Auch die Haushaltslage des Staates insgesamt ist von deutlichen Mehreinnahmen geprägt. Die Überschüsse dürften sich in diesem Jahr auf mehr als 20 Milliarden Euro belaufen. Daher würde die Reform auch nicht die investiven Ausgaben des Staates, vor allem für Bildung und Forschung, gefährden. Dort kommt es ohnehin nicht nur auf die Quantität, sondern vor allem auf die Qualität an. Hier sind erhebliche Effizienzreserven vorhanden.
Alles in allem wird es wohl kaum jemals einen günstigeren Zeitpunkt für eine grundlegende Reform des Steuer- und Abgabensystems geben als jetzt. Eine die genannten vier Kernelemente beinhaltende Reform wird von vielen gesellschaftlichen Interessengruppen grundsätzlich befürwortet. So haben sich in der Vergangenheit sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeberverbände für die Einebnung des Mittelstandsbauches im Einkommensteuertarif ausgesprochen. Überzeugende Argumente, warum die Reform des Einkommensteuertarifs jetzt nicht möglich sein sollte, sind bisher nicht vorgetragen worden.