Fallende Lohnquoten: Die Rolle von Technologie und Marktmacht
Die Lohnquote, definiert als die Summe der Arbeitnehmerentgelte geteilt durch die Gesamtproduktion einer Volkswirtschaft, ist in den letzten 40 Jahren in vielen Ländern gefallen. Das Fallen der Lohnquote besitzt potenziell weitreichende Implikationen für das Ausmaß an Ungleichheit und für den Wohlstand von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Daneben kann eine fallende Lohnquote auch ein Anzeichen für einen Anstieg der Firmenmarktmacht sein. Anhand von Mikrodaten zum deutschen Verarbeitenden Gewerbe untersucht dieser Artikel, welche Rolle technologischer Wandel und steigende Firmenmarktmacht als Ursachen für das Fallen der Lohnquote spielen. Es zeigt sich, dass technologischer Wandel und ein Anstieg der Firmenmarktmacht, insbesondere auf Arbeitsmärkten, jeweils die Hälfte der fallenden Lohnquote im deutschen Verarbeitenden Gewerbe erklären. Daher können politische Maßnahmen, die Firmenmarktmacht reduzieren, nicht nur eine effizienzsteigernde Wirkung entfalten, sondern, als ein Nebeneffekt, auch den Anteil der Löhne an der Gesamtproduktion erhöhen.
17. Juni 2022
Inhalt
Seite 1
Lohnquote in den letzten 40 Jahren gefallenSeite 2
Entwicklung der LohnquoteSeite 3
PolitikimplikationenSeite 4
Endnoten Auf einer Seite lesenWissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die weltweite Lohnquote, definiert als Anteil der Arbeitnehmerentgelte an der Gesamtproduktion, in den letzten 40 Jahren gefallen ist.1 Dies besitzt nicht nur weitreichende Implikationen für Verteilungsfragen und den Wohlstand von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern kann auch ein Hinweis auf Ineffizienzen sein. Es ist daher nicht verwunderlich, dass eine Vielzahl von Studien mögliche Gründe für fallende Lohnquoten diskutiert.
Das Absinken der Lohnquote ist in vielen Ländern zu beobachten und wird oftmals von Dynamiken innerhalb einzelner Sektoren, insbesondere der Industrie, bestimmt.2 Als Gründe für das Fallen der Lohnquote werden häufig technologischer Wandel und eine zunehmende Globalisierung angeführt, da beide den Produktionsfaktor Arbeit durch andere Faktoren ersetzen.3 Neueste Studien zeigen allerdings, dass auch eine steigende Marktmacht von Unternehmen einen negativen Einfluss auf die aggregierte Lohnquote ausüben kann.4
In diesem Beitrag fasse ich Ergebnisse aus einer kürzlich veröffentlichten Studie zusammen, in welcher ich den Einfluss von
i) neuen, weniger arbeitsintensiven Produktionstechnologien und
ii) steigender Firmenmarktmacht auf Produkt- und Arbeitsmärkten auf die Lohnquote im deutschen Verarbeitenden Gewerbe untersucht habe.5
Lohnquote, Technologie und Marktmacht
Abbildung 1 zeigt die Lohnquote im deutschen Verarbeitenden Gewerbe, einmal gemessen als die Summe der Arbeitnehmerentgelte geteilt durch den Gesamtproduktionswert (Umsatzkonzept) und einmal gemessen als die Summe der Arbeitnehmerentgelte geteilt durch die Gesamtwertschöpfung (Wertschöpfungskonzept).6 Wie zu erkennen ist, ist die Lohnquote im deutschen Verarbeitenden Gewerbe in den letzten Dekaden deutlich gefallen. Der kurze Anstieg der Lohnquote während der globalen Finanzkrise ist nicht ungewöhnlich und kann dadurch erklärt werden, dass während der Krise die Umsätze schneller gefallen sind als die Arbeitsausgaben.
Was kann diese Entwicklung erklären? Um die Frage zu beantworten, verwende ich ein einfaches Firmenmodell, in dem die Entwicklung der Lohnquote durch drei Faktoren beeinflusst werden kann. Erstens, technologischer Wandel: Durch veränderte Produktionsprozesse wird Arbeit durch andere Produktionsfaktoren, vor allem durch Kapital, ersetzt; Arbeit ist in diesem Fall technologisch weniger wichtig für Firmen. Zweitens, Produktmarktmacht von Firmen: Fehlende Konkurrenz auf den Absatzmärkten erlaubt es den Firmen, ihre Produktpreise anzuheben, wodurch die Produktnachfrage, Produktion und Arbeitsnachfrage der Unternehmen sinken. Drittens, Arbeitsmarktmacht von Firmen: Wenn Arbeitnehmer kaum alternative Arbeitgeber finden oder die Wechselkosten hoch sind, können Firmen den Lohn ihrer Belegschaft unter das kompetitive Lohnniveau drücken, das sich einstellen würde, wenn sie mit vielen anderen Firmen um knappe Arbeitskräfte konkurrieren müssten.
Gemäß dieser Modellbeschreibung können sämtliche andere Faktoren, bspw. eine zunehmende Globalisierung des Handels, die Lohnquote nicht direkt, sondern nur über einen dieser Kanäle beeinflussen.7 Anhand von Mikrodaten der Firmenebene ist es möglich, direkte Maße für die technologische Wichtigkeit von Arbeit in den Produktionsprozessen von Firmen sowie für die Marktmacht von Firmen auf Produkt- und Arbeitsmärkten zu ermitteln. Dabei wird i) die technologische Wichtigkeit von Arbeit als Output-Elastizität der Arbeit geschätzt (ein Maß, welches besagt, wie sich die Produktion verändert, wenn ein Unternehmen den Arbeitsinput verändert),
ii) Firmenmarktmacht auf dem Produktmarkt als Quotient zwischen Produktpreis und den Grenzkosten der Produktion definiert (bei vollkommener Konkurrenz deckt der Preis gerade die Kosten, Marktmacht erlaubt höhere Preise), und
iii) Firmenarbeitsmarktmacht als Quotient zwischen Wertgrenzprodukt der Arbeit (dem Beitrag der Arbeitnehmer zum Unternehmensumsatz) und Lohn definiert.