Im Fokus: Industrielle Kerne in Ostdeutschland und wie es dort heute aussieht – Das Beispiel der JENOPTIK AG
Der Wirtschaftsstandort Jena in Thüringen wurde in der DDR durch den Stammbetrieb des Kombinats VEB Carl Zeiss Jena dominiert, der optische Erzeugnisse und Präzisionsgeräte herstellte. In den letzten Jahren der DDR beauflagten die zentralen Planungsinstanzen der DDR das Kombinat auch mit der Herstellung von Ausrüstungen für die Herstellung mikroelektronischer Erzeugnisse. Nach dem Übergang zu marktwirtschaftlichen Verhältnissen wurde die klassische optische Produktion im Zuge der Privatisierung an die westdeutsche Schwester des Jenaer Kombinats, die Firma Carl Zeiss in Oberkochen veräußert. Der andere Teil des Carl-Zeiss-Stammbetriebs firmierte als Jenoptik GmbH, ging in das Eigentum des Freistaats Thüringen über, wurde erfolgreich umstrukturiert und ist als JENOPTIK AG seit 1998 börsennotiert. Wichtig erscheint in der Retrospektive der Ansatz der Jenoptik GmbH und ihrer Führung, durch Ausgründungen und Attrahierung neuer Investoren eine vorteilhafte Ballung technologieintensiver Unternehmen am Standort Jena zu erreichen. Umgekehrt haben die Standortvorteile Jenas mit seinen leistungsfähigen Wissenschaftseinrichtungen die erfolgreiche JENOPTIK-Entwicklung begünstigt.
21. November 2016
Der Beitrag stellt die JENOPTIK AG mit Sitz in Jena, Thüringen, vor und setzt damit eine Artikelserie über industrielle Kerne in Ostdeutschland fort. Zu den Kernen, deren Restrukturierung und Privatisierung damals viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog, gehörte auch das ehemalige Kombinat VEB Carl Zeiss Jena, einst ein Vorzeigebetrieb der DDR-Wirtschaft. Aus Teilen des Jenaer Stammbetriebs des Kombinats ist die JENOPTIK AG hervorgegangen, die eines der wenigen Beispiele des Erhalts und der Modernisierung eines Headquarter-Unternehmens in Ostdeutschland ist. Im Juni 1991 wurden dafür durch eine Grundsatzvereinbarung der Treuhandanstalt, des Freistaates Thüringen, des Landes Baden-Württemberg sowie der Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH, der Carl Zeiss AG Oberkochen, dem Jenaer Glaswerk und den SCHOTT Glaswerken Mainz die Weichen gestellt. 25 Jahre danach kann gefragt werden, was aus diesem industriellen Kern geworden ist und ob damals die Weichen so gestellt wurden, dass er auch langfristig gut für den internationalen Wettbewerb aufgestellt ist. Aus einer regionalökonomischen Perspektive kann dies als gegeben angesehen werden, wenn eine moderne Sach- und Humankapitalausstattung sowie ein zum Unternehmen passendes Unternehmensumfeld vorhanden sind und der Kern selbst möglichst auch über eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (FuE) verfügt. Daher wird im Folgenden vor allem auf
- die historischen Wurzeln,
- die Restrukturierungs- und Investitionsaktivitäten,
- die Beschäftigung,
- das regionale Umfeld und die überregionale Stellung des Unternehmens sowie dessen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten
eingegangen. Die Befassung mit diesem und anderen industriellen Kernen ist auch motiviert durch andere Forschungsarbeiten, die die Langfristeffekte der Industrialisierung zum Gegenstand haben.
Historische Ursprünge
Die heutige JENOPTIK AG hat ihre Ursprünge in einem im Jahr 1846 von Carl Zeiss in Jena gegründeten Handwerksbetrieb zur Herstellung optischer Instrumente. Durch den Firmeneintritt von Ernst Abbe, einem Jenaer Universitätsprofessor, wurde die Gläserherstellung auf eine physikalisch-wissenschaftliche Grundlage gestellt. Letzterer gründete auch die Carl Zeiss Stiftung, in die die Firma Carl Zeiss und das Schott Glaswerk integriert wurden. Im Jahr 1948 gingen beide Unternehmen in Volkseigentum über; in Westdeutschland wurde in Oberkochen im Jahr 1946 ein Schwesterunternehmen gegründet, das seit Oktober 1947 unter dem Namen Carl Zeiss firmierte. Der als VEB Carl Zeiss Jena firmierende ostdeutsche Betrieb wurde im Jahr 1965 Stammbetrieb des Kombinats VEB Carl Zeiss Jena, mit 25 Betrieben in Jena und an verschiedenen anderen Standorten in der DDR. Über die klassische Produktion von optischen Produkten und Präzisionsgeräten hinaus wurde das Produktionsspektrum aufgrund zentraler Planvorgaben um die Herstellung von Ausrüstungen für die mikroelektronische Industrie erweitert. Außerdem stellte das Jenaer Unternehmen militärische Ausrüstungen her.
Mitte 1990 erfolgte die Umwandlung des Stammbetriebs des Kombinats in die Rechtsform einer GmbH, die ab 10. September 1990 den Namen Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH trug, mit 13 Betrieben und 30 000 Beschäftigten. Die Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH wurde geteilt. Die klassische optische Produktion, die seit Anfang Oktober 1991 als Carl-Zeiss Jena GmbH firmierte, ging im Zuge der Privatisierung an die Carl Zeiss AG (Oberkochen) über. Der andere Teil, die Jenoptik GmbH, fungierte als Rechtsnachfolgerin des Kombinats. Ihre Geschäftsbereiche waren „Optoelektronik, Systemtechnik und Präzisionsfertigung“. Die Jenoptik GmbH sollte die Reste des ehemaligen Kombinats abwickeln. Sie befand sich im Eigentum des Freistaats Thüringen. Dessen Regierung beauftragte den früheren Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, Lothar Späth, mit der Geschäftsführung und Leitung der Umstrukturierung. Nach erfolgreicher Restrukturierung der Jenoptik GmbH und Umwandlung in eine AG erfolgte im Jahr 1998 der Börsengang.
Sanierung und Investitionsaktivitäten
Für die Privatisierung des Stammbetriebs des ehemaligen Kombinats Carl Zeiss Jena standen zusammengenommen 3,6 Mrd. DM zur Verfügung, von denen drei Mrd. auf die Jenoptik GmbH und rund 600 Mio. auf die Carl Zeiss Jena GmbH entfielen. Von den für die Jenoptik GmbH bestimmten Mitteln waren eine Mrd. DM zur Tilgung von Altkrediten, 800 Mio. DM für Sozialpläne, 100 Mio. DM als Rückstellungen zum Zwecke der Umweltsanierung, 600 Mio. DM als Verlustvortrag für das Jahr 1991 und 500 Mio. DM für Sanierungszwecke im Zeitraum bis 1995 bestimmt. Alexander von Witzleben, früherer Vorstandsvorsitzender der JENOPTIK AG, konstatierte, dass diese Gelder nicht für neue Produkte und Produktionsanlagen vorgesehen waren. Dennoch gelang es, vorhandene Technologien weiterzuentwickeln und durch Unternehmensakquisitionen den Konzern weiter zu profilieren. Der Finanzierung des Umbaus dienten neben der Veräußerung von nicht mehr betriebsnotwendigen Immobilien auch – aus heutiger Sicht – ungewöhnliche Maßnahmen, etwa Wohnungsbauaktivitäten. Zu diesem Zwecke wurde in der Sanierungsphase die JENOPTIK Bauentwicklung GmbH gegründet, die später zwecks Konzentration auf die technologischen Kernaktivitäten wieder veräußert wurde.
Zunächst musste die Jenoptik GmbH obsolete Industriegebäude abreißen, um dadurch Platz für Neuansiedlungen zu schaffen. Für die Attrahierung von Investoren wurde ein so genanntes Investorenzentrum eingerichtet, das beispielsweise nicht betriebsnotwendige Immobilien vermarktete und Unterstützung bei Behördengängen sowie bei der Personalakquisition gab. Bis Ende 1996 konnten durch diese Akquisitionsbemühungen in Jena 47 Investoren angeworben werden; 139 weitere Arbeitgeber waren Mieter von Jenoptik-Immobilien.
Zum erfolgreichen Umbau der Jenoptik zu einem internationalen Konzern trugen ebenso verschiedene Zukäufe von Unternehmen bei, mit denen auch neue Vertriebskanäle erschlossen wurden, z. B. durch den Erwerb des Anlagenbauers Meissner+Wurst GmbH & Co. im Oktober 1994 oder des Unternehmens ESW- Extel Systems Wedel, das zum Bereich der „Zivil- und Verteidigungstechnik“ gehört, im November 1997.
Beschäftigung
Zum Zeitpunkt der Wende wurde die Belegschaft des Jenaer Stammbetriebs des Zeiss-Kombinats auf 27 000 beziffert. Diese Zahl wuchs aufgrund von Rückkehrern aus Beschäftigungsverhältnissen, die bis dahin ruhten, bis 1991 sogar noch auf beinahe 30 000. Ein Interessenausgleich sah den Erhalt von 10 200 Arbeitsplätzen vor. Neben 1 400 Mitarbeitern bei Jenoptik sollten weitere 6 000 Arbeitslätze durch neue Ansiedlungen von möglichst technologieintensiven Betrieben erhalten oder neu geschaffen werden. Die weiter oben in diesem Beitrag erwähnte Carl Zeiss Jena GmbH sollte 2 800 Arbeitsplätze sichern. In einer Arbeitsplatzbilanz mit Stand Ende 1996 wird über 9 358 neue Arbeitsplätze bei Investoren und Mietern berichtet, zu denen rund 4 700 außerhalb Jenas hinzukamen. Im Zuge der Restrukturierung der Jenoptik GmbH wurde rund 17 500 Menschen mit Wirkung Ende Dezember 1991 gekündigt.
In der JENOPTIK AG sind 3 512 Beschäftigte tätig (Ende 2015, einschließlich Auszubildende), Ende 2014 waren es 3 553. Im Jahresdurchschnitt ist die Beschäftigtenzahl in der JENOPTIK AG auf 3 421 Beschäftigte im Jahr 2015 gegenüber 3 375 im Jahr 2014 gestiegen (vgl. Abbildung). Die Zahl der JENOPTIK-Beschäftigten an den Thüringer Standorten Jena und Triptis wird laut Angaben der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Jena mbH vom November 2016 auf über 1 700 beziffert. Das Jenaer Unternehmen kann dabei auf einen großen regionalen Pool hochqualifizierter Beschäftigter zurückgreifen. Beim Anteil von Beschäftigten mit den Anforderungsniveaus „Spezialist“ oder „Experte“ an der Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt Jena beim Doppelten des ost- und beim 1,9-fachen des westdeutschen Wertes.
Regionale Umgebung, überregionaler Status und Forschung und Entwicklung
Die JENOPTIK AG und ihre Vorläufer sind sehr stark mit der wirtschaftlichen und städtischen Entwicklung in Jena verbunden. Die Jenoptik GmbH betrieb in den 1990er Jahren Strukturpolitik in und für Jena, die zur Gründung, Ansiedlung und Weiterentwicklung zahlreicher technologieorientierter Unternehmen in Jena beigetragen hat. Die Zahl der Beschäftigten in den Bereichen „Technologie“ und „Digitale Wirtschaft“, die offenbar auch Dienstleistungsunternehmen mit einschließt, wird von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Jena mbH mit mehr als 11 600 angegeben.
Die Unternehmen organisieren sich in Branchennetz- werken, beispielsweise dem Optik- und Photonik-Netzwerk OptoNet e. V. und dem Gesundheitstechnologie- und Medizintechnik-Netzwerk medways e. V.
Die JENOPTIK AG hat sich als weltweit tätiger Photonik-Konzern mit der Zentrale in Jena, weiteren zehn Standorten in Deutschland und Präsenz in mehr als 80 Ländern weltweit profiliert. Das Angebotsspektrum der JENOPTIK umfasst: Energiesysteme und Antriebstechnik, Industrielle Messtechnik, Kameras und Kameramodule, Laser und Lasertechnik, LED-Beleuchtung, Luftfahrtsysteme, Optik und Optische Systeme, Optoelektronik und opto-elektronische Systeme, Sicherheits- und Verteidigungstechnik, Verkehrssicherheitssysteme.
Es liegt in der Natur dieses Leistungsspektrums, dass eigene Forschung und Entwicklung (FuE) für die JENOPTIK AG eine zentrale Rolle spielen. Die Forschungskosten liegen im Zeitraum von 2009 bis 2015 regelmäßig über den Investitionen (vgl. Abbildung). Im Jahr 2015 sind 425 Mitarbeiter in FuE tätig, was 11,7% der Gesamtmitarbeiterzahl entspricht. Darüber hinaus kooperiert die JENOPTIK AG mit zahlreichen Partnern aus universitären und außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen und der Industrie. Von den auszugsweise im Geschäftsbericht 2015 genannten elf FuE-Partnern des öffentlichen Bereichs haben fünf ihren Sitz in Jena beziehungsweise Thüringen: die Friedrich-Schiller Universität Jena, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF), das Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT), die Ernst-Abbe-Hochschule Jena und die Technische Universität Ilmenau. Der Konzern setzt auf Innovationen sowie Internationalisierung.
Die JENOPTIK AG muss dabei nach eigenen Angaben, wie andere Unternehmen auch, unter herausfordernden Rahmenbedingungen politischer und ökonomischer Natur, etwa durch EU-Regulierungen, die Finanzmärkte, die Entwicklungen in den BRIC-Ländern sowie die geopolitischen Konflikte agieren. Die JENOPTIK AG verkörpert, was mit der Politik zum Erhalt industrieller Kerne eigentlich intendiert war: Erhalt und Restrukturierung eines Nukleus industrieller Aktivitäten, in dessen Umfeld sich weitere Investoren ansiedeln oder Gründungen erfolgen. Die heutige JENOPTIK AG ist einer der wenigen Fälle im Osten Deutschlands, bei denen im Zuge der Privatisierung aus einem Kombinats-Stammbetrieb eine Konzernzentrale entwickelt werden konnte, die ansonsten im Osten Deutschlands auch mehr als 25 Jahre nach der Deutschen Einheit eher rar sind. Die Startbedingungen – geringe Produktivität, Umsatzrückgänge und Verluste nach Einführung der DM – waren typisch für die meisten ehemaligen volkseigenen Betriebe. Dass sich im Falle der JENOPTIK AG die Dinge zum Besseren wendeten, wird von Beobachtern auch dem unternehmerischen Geschick von Lothar Späth als dem damaligen Verantwortlichen für die Restrukturierung der Jenoptik GmbH zugeschrieben. Als nicht weniger bedeutsam kann angesehen werden, dass auch Ansiedlungen und Gründungen im regionalen Umfeld unterstützt und die Konzernstruktur durch Zukäufe ergänzt wurden. Außerdem setzt das Unternehmen auf Humankapital und Forschung und nicht nur auf modernes Sachkapital. Jena bietet mit seiner Ballung von technologieintensiven Unternehmen, hochqualifizierten Beschäftigten und einer leistungsfähigen Wissenschaftslandschaft sehr gute regionale Entwicklungsbedingungen.