Kommentar: 25 Jahre Aufbau Ost – weiterer Konvergenzfortschritt braucht gesamtdeutsches Produktivitätswachstum
Wie kann es weitergehen mit der Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland? Wird Ostdeutschland auf dem derzeitigen Entwicklungsniveau verharren? Die Entwicklungsperspektiven der Neuen Länder sind nicht losgelöst von der künftigen gesamtdeutschen Wachstumsdynamik. Nicht nur in Ostdeutschland, sondern in Deutschland insgesamt besteht die Herausforderung darin, die Produktivität zu steigern, und zwar stärker als bislang.
09. November 2015
Denn Deutschland und Europa fallen seit geraumer Zeit in puncto Produktivität hinter die USA als einem der zentralen Wettbewerber zurück. Soll diese Lücke nicht weiter zunehmen, sind mehr Wachstumsdynamik und größere Innovationsanstrengungen vonnöten. Hier ist in Europa Luft nach oben. Internationale Wachstumsstudien zeigen: In den USA gibt es viel mehr schnell wachsende Unternehmen, allerdings auch mehr stark schrumpfende Unternehmen als in Europa. In Europa gibt es dagegen im Vergleich zu den USA mehr Firmen, die weder wachsen noch schrumpfen, also stagnieren. Woran liegt das? Die Forschung zeigt, dass sowohl das Entstehen neuer als auch das Ausscheiden unrentabler Firmen aus dem Markt entscheidend für Produktivitätswachstum und damit für das Pro-Kopf-Einkommen sind. Mithin müssen die Finanzmärkte für eine effiziente Ressourcenallokation sorgen, damit effiziente Firmen ihre Projekte finanzieren können und ineffiziente Firmen aus dem Markt ausscheiden. Dabei geht es weniger um die Unterscheidung zwischen „bankbasierten Finanzsystemen“ wie in Europa und „marktbasierten Systemen“ wie in den USA. Vielmehr fehlen in Europa Finanzinstitutionen, die Eigenkapital bereitstellen. Speziell für junge Firmen ist Eigenkapital das wichtigste Instrument, weil dadurch nicht nur Finanzierung in Form von Risikokapital, sondern auch Expertise für die jungen Unternehmerinnen und Unternehmer bereitgestellt wird.
Was hat das alles mit den Perspektiven der ostdeutschen Wirtschaft zu tun? Sehr viel. Die großzügige Förderung durch Zuschüsse für Investitionen und Innovationen mag kurz nach der deutschen Vereinigung noch sinnvoll gewesen sein, ist aber heute nicht mehr zielführend und wird in den bisherigen Größenordnungen zukünftig nicht mehr zur Verfügung stehen. Umso wichtiger ist es, dass sich auch die Unternehmen in den Neuen Ländern bei ihren Zukunftsprojekten eines gut funktionierenden Finanzsystems bedienen können, das verstärkt Eigenkapital und nicht nur Fremdkapital zur Verfügung stellen kann. Das ist notwendig, damit aus mittelständischen Unternehmen in Ostdeutschland durch internes und externes Wachstum die künftigen „Headquarter“ werden, an denen es bislang weithin mangelt. Freilich wird das nicht über Nacht passieren. Eine wichtige Brückenfunktion zum Mittelstand wird in Ostdeutschland weiterhin den Universitäten und außer-universitären, öffentlich geförderten Wissenschaftseinrichtungen zukommen. Sie sind die „Brainpools“, die Knoten in Innovationsnetzwerken und Türöffner zum weltweiten technologischen Wissen. Nur finanziell gut ausgestattete Wissenschaftseinrichtungen können mit exzellenter Forschung das Wachstum treiben. Wissenschaft als Wachstumsmotor lebt von Austausch. Sollen Spitzen- und begabte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus dem Ausland angezogen werden, bedarf es attraktiver Arbeits- und Lebensbedingungen speziell in den großen Städten Ostdeutschlands. Dies werden die Ankerpunkte für hochqualifizierte junge Menschen sein, die in Ostdeutschland dringend gebraucht werden.